Human
als ein Dutzend Zentimeter lang und spitz wie Messer. Beide hellfarbigen, gefleckten Raubtiere hatten kurze Schwänze und waren robust gebaut, sodass sie eher wie Bären als wie Katzen aussahen.
Der Elektromotor des Wagens machte kein Geräusch, und so konnten Whispr und Ingrid fasziniert dabei zusehen, wie sich die beiden riesigen Säbelzahntiger in dem frischen Kadaver verbissen. Ingrid hätte nicht sagen können, wie lange sie so dasaßen, bis sie schließlich den Mund aufmachte.
»Und? Du wolltest doch Tiere sehen.«
»Nach dem hier kann es nur noch abwärts gehen, und damit meine ich nicht die Straße«, murmelte Whispr und deutete nach vorn. »Was jetzt? Fahren wir einfach um sie herum?«
»Ich schätze schon.« Zu ihrem Glück war das Tier neben der Straße erlegt worden. »Es sei denn, du glaubst, sie versuchen, den Wagen zu fressen.«
Er lachte nicht. Wenn diese Säbelzahntiger mit ihren kraftvollen Pranken richtig zuschlugen, dann konnten sie auch eine Windschutzscheibe eindrücken. Doch die beiden großen Katzen achteten gar nicht weiter auf das Fahrzeug, das leise an ihnen vorbeiglitt. Ingrid beobachtete stumm mit der Abgeklärtheit einer Ärztin, wie die Raubtiere den toten Springbock stückweise auseinanderrissen, Gliedmaßen mühelos abrissen, wobei sie ihre krummsäbelartigen Zähne nutzten, um den Bauch und andere Weichteile aufzureißen. Erst als der Roadster ein Stück weitergefahren und die blutige Szene hinter ihnen verschwunden war, machte sie wieder den Mund auf.
»Willst du zur Lodge oder sollen wir weiterfahren? Das ist dein Traum, deine Bezahlung dafür, dass du mich begleitest. Also solltest du es auch nach Leibeskräften auskosten.«
Er überlegte. Ein Blick zum Himmel sagte ihm, dass der Sonnenuntergang noch einige Stunden auf sich warten lassen würde. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Dieses seltene Schauspiel bewirkte, dass er wie ein anderer Mensch aussah, und ein kindischer Enthusiasmus schlich sich in seinen Tonfall ein.
»Lass uns ein paar Mammuts suchen gehen.«
Da sie sehr geübt darin waren, ihre eigene Spezies zu verändern, war es kein Wunder, dass sich einige Gengenieure und Biochirurgen, die sich für die Paläontologie interessierten, exotischeren Bemühungen widmeten, um die Megafauna des präborealen Holozäns wieder aufleben zu lassen. Mithilfe von DNS , die aus eingefrorenen oder auf andere Weise erhaltenen Kreaturen gewonnen wurde, war es ihnen gelungen, bis zurück ins Pleistozän zu gehen. Rasch war es nichts außergewöhnliches mehr, Kreaturen neu zu erschaffen, die seit Langem ausgestorben waren. Tasmanien beheimatete erneut frei herumlaufende tasmanische Wölfe, während in Neuseeland und Madagaskar Farmen entstanden, auf denen riesige Elefantenvögel und Moas gezüchtet wurden. Auch der uralte Erzfeind der Moas weilte wieder unter den Lebenden, doch anders als seine Beute durfte er nicht frei am Himmel über Aotearoa fliegen. Da der Haastadler ein Kind ebensoleicht wegtragen konnte wie einen Moa, durfte er das Innere der riesigen, extra für ihn gebauten Vogelhäuser nicht verlassen.
Sobald die Wissenschaft lebensfähig geworden war, wurde die Frage, ob uralte Raubtiere wiederbelebt werden sollten, heftig debattiert. Letzten Endes beschloss man, dass eine Säbelzahnkatze, die in einem Naturreservat lebte, nicht gefährlicher war als ein zu dieser Zeit lebender Löwe oder Tiger und in vielerlei Hinsicht sogar harmloser, da er beispielsweise deutlich langsamer war. Dass der amerikanische Gepard wieder auf den Ebenen von Namerika lebte und dort seine natürliche Beute, die flinke Gabelantilope, jagte, hatte sich sogar als natürliche und begrüßenswerte Option erwiesen, um die explosionsartig anwachsende Pumapopulation einzudämmen. Zuvor ausgestorbene Canis dirus paarten sich problemlos mit den modernen grauen, mexikanischen und anderen Wölfen. Aufgrund des politischen Drucks durften die gefährlicheren ausgestorbenen Raubtiere wie der Smilodon noch nicht in Nordamerika, Europa oder dem entwickelten Asien gehalten werden. Im Gegensatz dazu gab es in Afrika viele Gebiete, die fernab von den dicht bevölkerten Gebieten lagen sowie einen großen Erfahrungsschatz hatten, was das Verhalten großer Mengen an Megafauna betraf.
Dennoch konnte man nur in einigen auserwählten Gebieten darauf hoffen, das ganze Ausmaß der einstmals ausgestorbenen Pleistozän- und Holozän-Megafauna zu erleben, und zu den größten und am wenigsten besuchten
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