Hummeldumm
Videokamera langsam über den gesamten Köcherbaumwald schwenkte. Noch vor dem Abendessen würde ich mir den Adapter schnappen, das war jedenfalls schon mal klar. Ich bemerkte, dass Sina mich anschaute von der Seite.
»Du bist noch nicht so entspannt, oder?«
»Ich arbeite dran!«
»Dann vergiss doch mal das Büro. Wir haben Urlaub. Und sitzen gerade bei einem romantischen Sonnenuntergang!«
Das mit der Romantik war leider nicht ganz einfach, denn so richtig alleine waren wir natürlich nicht: Neben unserer Reisegruppe hatte sich ein gutes Dutzend weiterer Touristen zwischen den Köcherbäumen verteilt. Sie knipsten sich gegenseitig über den Haufen und schnatterten, was das Zeug hielt. Direkt vor mir friemelte die quarkgesichtige Schweizerin an ihrem Fotoapparat herum, ein paar Meter weiter posierte Wetterfloh Brenda in Western-Bluse und schwarzer Lederhose für ihren qualmenden Lover auf einem Felsen. Nur der 1011. des Ironman Hawaii saß in einem straffen gelben Polohemd und mit einer Trinkflasche alleine auf einem Felsen.
»Dieser Schnabel«, begann ich, »was ist mit dem eigentlich? Ich meine, ihr habt euch schon mal unterhalten, oder?«
Sina nahm einen Schluck Bier und nickte.
»Is verlassen worden vor ein paar Wochen von seiner Freundin, warum, weiß er nicht.«
»Er weiß nicht, warum?«
»Nein.«
»Und ... was macht er denn überhaupt auf so ner Reise hier? Ich meine, er passt doch gar nicht rein.«
»Sie wollten die Reise ja auch zu zweit machen.« »Okay. Verstehe. Na ja ...«
Ich legte den Arm um Sina, und gemeinsam blickten wir über die Köcherbäume und unsere kleine Farm hinweg auf die immer noch hellglühende Sonne. Da näherte sich Speckhut mit seiner Rosinenhexe. Auch wenn ich nicht alles verstand, so schienen sie doch im Wesentlichen darüber zu diskutieren, ob der namibische Sonnenuntergang mit dem in Australien mithalten konnte oder nicht. Speckhuts Worte fielen wie ein Eimer Kies auf unser zartes Pflänzchen Romantik.
»Tua ned bledln, in Australien hammer net so a schöns Licht kaabt!«
»Dafür hammer a Meer kaabt! Sikst a Meer irgendwo? I neet!« »Woos wüll i denn mit am Meer?«, bellte Speckhut zurück. »I brauch ka Meer zur Entspannung!« »Und woos dann?«
»A oide Kaifen jedenfalls neet!«
»Jetz budl di net auf und suach lieber an Blooz fürs Foto für die Nachborn, dass ma da wor'n!« Ich hielt die Luft an.
»Nicht aufregen«, schmunzelte Sina und lehnte ihren Kopf an meine Schulter, »schau lieber mal den Wahnsinns-Himmel an!«
Mit einem einzigen unbedachten Wort hatte Sina den Projektor in meinem Kopfkino angeworfen, und ich konnte gar nichts dagegen tun: Dort vorne, direkt neben den vertrockneten Riesenbrokkolis, die vor dem pumpenden Abendrot wie bizarre Silhouetten wirkten, genau dort stand mein Sparkassenberater mit Petry-Perücke und sang!
>Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle? Eiskalt lässt du meine Seele erfriern!<
Panisch schüttelte ich meinen Kopf, und der Projektor fiel herunter.
Ich musste irgendetwas tun, sonst würde ich noch bekloppt. Also drückte ich Sinas Hand und beschloss, mich auf die Magie des Sonnenuntergangs zu konzentrieren. Leider sabotierten österreichische Bodentruppen diesen Beschluss.
»Muasst du in aaanaTua umananda motschgan?«, pfiff Speckhut seine Gattin zurecht. »I bin doch net am Motschgan! Du bist am Motschgan!«, krähte die Rosinenhexe. Sina spürte, dass ich kurz davor war zu platzen, und drückte mich an sich.
»Lass es, Matze, es bringt nichts! Und vor allem: atme mal!«
>Bing »Winkamal!«
Hastig riss ich meinen Kopf herum und erblickte Seppelpeter, der seine Kamera auf uns gerichtet hatte. Wir winkten kurz, dann stand Sina auf und zog mich an der Hand hoch.
»Komm, wir gehen woanders hin!«
Wir gingen nicht, wir rannten, und zwar so lange, bis der alpenländische Streit nicht mehr zu hören war. Leider waren wir mit dieser Idee nicht allein: Wo immer wir uns auch hinstellten - andere Touristen folgten aus Sorge, sie könnten ein ganz besonders tolles Fotomotiv verpassen. »So ein Riesenland, und alle stehen auf einem Fleck«, seufzte ich resignierend.
»Huhuuu!«, rief Brenda uns zu. »Wir trinken nachher ein schönes Weinchen zusammen, oder?«
»Unbedingt!«, rief ich zurück, dann eilten wir weiter. Und tatsächlich: Da war ein touristenfreier Bildausschnitt, den wir für ein Foto nutzen konnten, bevor die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Es gab Köcherbäume nur für uns! Eilig
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