Hummeldumm
würde, wenn ich dies in Schnabels Kleiderschrank herausfand. Was war ich nur für ein Idiot! Verzweifelt drückte ich den Licht-Knopf meiner Digitaluhr: Sie zeigte 2 Uhr 18. Im Dunkeln hätte ich vielleicht noch entwischen können, doch Schnabel dachte ja gar nicht daran, das Licht auszumachen. Ich war durchgeschwitzt bis zur letzten Haarspitze, die Beine waren taub und der letzte Kubikzentimeter Schrankluft das zehnte Mal geatmet.
Als Schnabel um kurz vor drei endlich sein Buch weglegte und sich einer Ausgabe der Zeitschrift Triathlon widmete, gab ich auf. Ich öffnete die Schranktür und trat einfach heraus. Schnabel tat das, was er immer tat: Er starrte mich wortlos an. Meine Exit-Strategie für einen halbwegs erträglichen Abgang hatte ich mir in der letzten Stunde bereits zusammengebastelt.
»Du, Kevin, was ich fragen wollte: Wann ist denn noch mal Frühstück morgen?«
»Um sechs.«
»Weiß ich Bescheid, gute Nacht.« »No!«
Ironman Schnabel ließ mich davonschwirren wie ein dummes Insekt. Zurück in meinem Zelt-Bungalow leerte ich zwei komplette Flaschen Wasser und ließ mich ins Bett fallen. Die Erleichterung war da, doch leider hatte sie einen peinlichen Pulli an. Ich hatte mich geirrt.
Ich überlegte, ob ich Immovest auf die Mailbox sprechen sollte, dass ich die Wohnung nun doch wieder wollte, und natürlich überlegte ich, ob ich jetzt noch zu Sina sollte, um mich zu entschuldigen. Ein Blick auf die Uhr genügte mir als Antwort: Es war fast halb vier; ein paar Stunden Schlaf würden mir guttun, und morgen war auch noch ein Tag.
Also entledigte ich mich meiner durchgeschwitzten Klamotten und schlich ins Bad. Eine schlechte Idee, waren doch die kleinen Unterschiede zwischen Schnabel und mir recht eindeutig im Spiegel zu erkennen: Hühnerbrust, Bauchansatz und Haare, wohin man schaute. Spontan beschloss ich, wenigstens das dritte Problem gleich anzugehen. Mit meinem Nassrasierer stieg ich in die Duschkabine, drehte das heiße Wasser an und rasierte, was das Zeug hielt. Kraftvoll zog ich die Klinge durch, kein einziges Haar wollte ich mehr sehen! >Raaaatsch!< machte es, wie es bei den echten Männern im Gillette-Spot macht, >Flaaatsch!< klatschte ich den Schaum auf den Boden. Nur - war der nicht normalerweise weiß?
Erschrocken stellte ich das Wasser ab. Ungeübt im Rasieren von Körperteilen, die nicht der untere Teil meines Gesichts waren, bemerkte ich, dass der Boden meiner Duschkabine rot geworden war. Eilig drehte ich das Wasser ab und legte den Rasierer weg. Dann stieg ich stumm aus der Duschkabine und trat erneut vor den Spiegel. Mir stockte der Atem: Ich sah aus wie eine Wasserleiche, die in einen Maschendrahtzaun gefallen war; und hätte Calvin Klein für das Foto auf den Unterwäschekartons die Wahl gehabt zwischen einem Haufen Scheiße und mir, sie hätten den Haufen Scheiße genommen.
Entkräftet tupfte ich meine blutenden Beine und Achseln mit allen zur Verfügung stehenden Handtüchern ab, für den Genitalbereich nahm ich aus hygienischen Gründen Klopapier. Behutsam untersuchte ich die Schnittstellen. Es war unfassbar: Ich hatte mir doch tatsächlich die Sacknaht aufgerissen.
28
Ich war Bahee unendlich dankbar für den Becher mit heißem Tee und den Zwieback. Außerdem durfte ich wegen meiner Magen-Darm-Geschichte die kurze Fahrt zu der eventuell größten Düne der Welt neben ihm auf dem Beifahrersitz verbringen. Warum ich mir als Einziger den Magen verdorben haben sollte, wo ich doch gar nicht beim Abendessen gewesen war, verstand er trotzdem nicht. Wenigstens sah wegen meiner langen Hose keiner meine Schnitte, und im Gesicht hatte ich mich ja nicht rasiert.
Sina war noch saurer als am Tag zuvor. Wusste sie vielleicht schon von meiner Schrank-Aktion? Hatte Schnabel ausgepackt? Aufgeregt blickte ich zu Schnabel: Der saß stoisch da wie immer und veränderte selbst dann seinen Gesichtsausdruck nicht, als er sah, dass ich ihn anschaute. Erleichtert schaute ich wieder nach vorne auf die Piste. Offenbar konnte man sich auch in Krisensituationen darauf verlassen, dass kein unnötiges Wort Schnabels fleischloses Athletenhirn verließ.
Bahee trat den Bus mit otdentlich Schmackes über die Piste, und schon bald tauchten links von uns die ersten roten Sanddünen auf, deren Kanten dank der tiefstehenden Morgensonne messerscharfe Kontraste zeichneten.
»Das gibt super Foddos, da werdet ihr mal staunen, wenn ihr die guckt zu Hause in Deutschland«, versprach uns Bahee über
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