Hummeldumm
gratuliert, statt ihr eine Szene zu machen.
Schnabel stand direkt vor dem Fernseher, wobei er unschlüssig schien, ob er seine Aufmerksamkeit mehr der Show oder seinem Körper widmen sollte: Schnabel zupfte, begutachtete und drückte, als sähe er seinen eigenen Körper zum allerersten Mal. Seltsamerweise schien er nicht besonders zufrieden damit. Dann tat er mir den Gefallen, sich ein T-Shirt überzustreifen und eine lange Trainingshose, die er - daran hatte ich überhaupt nicht gedacht - zum Glück nicht aus dem Kleiderschrank holte, sondern aus seiner Sporttasche.
Irritiert betastete nun auch ich meine rechte Körperseite, und sofort griff ich in eine gurkendicke Speckrolle. Ich war doch nicht etwa fett? Irritiert strich ich nun auch über meinen Bauch - er fühlte sich an wie ein Luftballon unter einer Tischdecke. Ich war fassungslos: Wie hatte Sina mich denn bitte schön herumlaufen lassen? Warum hatte sie mir nie was gesagt oder zumindest auf meine Ernährung geachtet? War sie denn blind, so was sieht man doch, das musste sie doch stören? Das hätte sie doch mit Leichtigkeit bemerken können, dass da was getan werden musste bei mir. Dann hätte ich mal ein Bier weggelassen oder die große Runde beim Joggen genommen statt der winzigen um den Spielplatz! Egal, denn jetzt war es zu spät, jetzt musste ich den Tatsachen auf ihren Sixpack sehen: Mit Hinterlist war ich gemästet worden von meiner eigenen Freundin mit einem einzigen Ziel: mich im richtigen Augenblick abzuschießen für ein Calvin-Klein-Model aus Weimar. Und dieser Augenblick war nun gekommen. In ein paar Minuten würde Sina hier bei ihrem neuen Alpha-Männchen aufschlagen, und das war's dann. Ich würde meinen Auftritt haben und eine Flasche Schnaps an der Bar, und am nächsten Tag würde ich nach Deutschland zurückfliegen, fett und allein.
Da ich den halbnackten Triathleten aus den Augen verloren hatte, korrigierte ich meine Position im Schrank und fand ihn kniend vor der Minibar wieder. Meine Hoffnung, er würde wenigstens heimlich trinken, löste sich in roten Kalahari-Staub auf, als Schnabel sich mit einer kleinen Flasche Orangensaft zurück auf die Couch setzte. Ich hätte viel gegeben für einen winzigen Schluck, denn die Hitze im Schrank war inzwischen kaum mehr zu ertragen. In jedem Fall war es höchste Zeit, dass Sina kam und mein Leid beendete. Doch sie ließ auf sich warten, und Schnabel vertrieb sich die Zeit, indem er fünf weitere Spielrunden bei
Schlag den Raab
verfolgte, ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern, was eine Kunst war, denn der Kandidat, ein gewisser Hans-Martin, gewann sehr zum Unwillen des Publikums nun auch noch das Schraubspiel und ging in Führung.
Die nächste Stunde war eine einzige Tortur. Während durch Schnabels Zimmer eine angenehme Brise zu wehen schien, wurde es in meinem Schrank heißer und heißer. Um einen Krampf zu vermeiden, hob ich den Kopf ein wenig, wobei die Platte über meinem Kopf nachgab, vermutlich war sie nur aufgelegt und nicht verschraubt. Allmählich wurde mir auch langweilig, denn leider verdeckte der Sessel den Fernseher. In der Werbepause zappte sich Schnabel durch das gesamte TV-Angebot, um schließlich dann wieder bei Pro 7 hängenzubleiben, wo Hans-Martin unter dem Gejohle der Zuschauer eine halbe Million Euro absahnte. Der Schweiß lief mir inzwischen literweise über die Gurkenrollen, auch schien sich der letzte Sauerstoff aus dem Schrank verflüchtigt zu haben. Mein Rücken schmerzte vom langen Stehen, meine Zunge hatte sich längst in einen Pelz verwandelt, und das Brett auf meinem Kopf tat auch weh. Da schaltete Schnabel den Fernseher aus.
Ich hielt die Luft an und lauschte. Hatte es geklopft? War das nicht Sinas Stimme? Offenbar nicht. Denn statt das Licht zu löschen, machte er noch eines an und setzte sich mit einem roten Buch, das Nicht mein Tag hieß, aufs Bett. War das womöglich das vereinbarte Zeichen für das Rendezvous? Licht am Bett nach Schlag den Raab\ Geschickt war das!
Nach einer weiteren halben Stunde Wartezeit saß Schnabel noch immer lesend auf seinem Bett. So, wie mein Schweiß auf den Schrankboden, tröpfelte nun auch die Erkenntnis, dass es die Möglichkeit zu bedenken gab, dass heute Nacht nicht wirklich mehr was laufen würde. Und mit jeder Minute, die dahinschmolz, wurde die Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit und schließlich zur Gewissheit: Sina hatte die Wahrheit gesagt, nur hatte ich mir leider keinerlei Gedanken gemacht, wie hoch der Preis sein
Weitere Kostenlose Bücher