Hunde Jahrbuch
Kinder diese wenigen feinen Barthaare, die Timmy den Anschein gaben, mit Dschingis Khan den Barbier zu teilen? Und malen Kinder den Hunden dunkle Ränder um die Augen, die Timmy in den Verdacht brachten, jeden Morgen mit dem Kajalstift seine Augen zu umrahmen? Nein, so malen Kinder nicht. Timmy war etwas Besonderes. Semmelblond mit dunklen Ohren, schäferhundgroß, stockhaarig und mit unglaublich zarten Füßen. Er hatte elegante längliche Pfötchen, keine dicken Knuddelpfoten, wie sie seiner Größe angemessen gewesen wären.
Ich hatte Timmy aus dem Tierheim geholt. Gleich an dem Tag, als ich meine erste Pfarrstelle antrat und ein großes Pfarrhaus mit Garten bezog, in dem ich keine Nacht allein sein wollte. Endlich, mit dreißig Jahren, sollte ich einen Hund bekommen, den ich mir immer gewünscht hatte. Zehn Monate war er alt, fast ausgewachsen, ein mächtiger Rüde und ein Macho. Das erkannte ich aber erst später. Als ich ihn holte, war er für mich ein aufgeweckter, wild tollender Hund, der an der Leine zog, während ich mit ihm zur Probe Gassi ging. Er zog und zog und dann – dann blieb er plötzlich stehen und schaute mich an. So, als wollte er doch mal wissen, mit wem er es zu tun hatte. Da war es um mich geschehen. Auch Timmy hatte das Leben im Tierheim gründlich satt. Er hatte entschieden, nie mehr auf kleinem Raum eingesperrt zu sein.
Die Kombination neuer Job, neue Wohnung und neuer Hund kann ich niemandem empfehlen. Es war Stress pur. Die Maler hatten das Haus gerade verlassen, die Türen im Untergeschoss waren frisch lackiert und noch feucht. Wie würde sich wohl eine wedelnde Rute an einer solchen Tür machen? Ich musste zur Konfirmandenstunde. Der Garten war noch nicht ausbruchssicher. Wohin mit dem Hund? Das Bad war größer als sein Zwinger, die Tür schon vorgestern gestrichen worden und inzwischen trocken. Dort konnte ich den Hund einsperren. Ich ignorierte sein Heulen – er musste lernen, auch mal alleine zu sein. Nach zwei Stunden kam ich wieder. Im Bad ein Anblick des Grauens: Das innere Türblatt war abgekratzt, nur der Rahmen und das äußere Türblatt hingen noch in den Angeln. Gegen diesen Schaden wäre ein Abdruck seiner Rute auf den frisch gestrichenen Türen geradezu eine Verschönerungsmaßnahme gewesen. Nie mehr würde ich diesen Hund alleine in einen kleinen Raum einsperren. So erzieht man sein Frauchen.
Später blieb Timmy sehr gut alleine zu Hause. Außer einer Jacke, mehreren Schuhen und meinem Chinchilla hat er nie etwas kaputt gemacht. Timmy erzog dazu, aufzuräumen und die Türen abzuschließen – ein sehr pädagogischer Hund. Allerdings liebte er es, Dinge in den Garten zu verschleppen. So verschwand auch eines Tages mein Kalender. Als Pfarrerin ohne Terminkalender – eine Katastrophe. Ich fand das Teil schließlich halb verbuddelt hinter dem Rhododendron und musste den Rest des Jahres mit einem bräunlich verschmierten Kalender arbeiten. Einem esoterisch angehauchten Freund klaute Timmy einst die Pendel. Auch diese wurden vermutlich im Garten verbuddelt. Seiner Pendel beraubt, konnte mein Freund auch den Grabungsort nicht auspendeln. Wir warten noch immer auf das Wachsen eines Pendelbäumchens.
Timmy war eindeutig ein Macho. Geflissentlich überhörte er meine Kommandos. Kam es zum Konflikt, versuchte er mir durch Knurren und Drohen Respekt einzuflößen. Jedem Mann, der ins Haus kam, gestand er mehr Autorität zu. Und das bei mir, die feministische Theologie für eine Selbstverständlichkeit hielt! Ich war nicht gewillt, mich diesem Kerl auf vier Pfoten unterzuordnen. Ein Hund hatte zu gehorchen. Wenn es keine andere Möglichkeit gab, drängte ich ihn mit einem Stuhl in eine Ecke, um ihn zu beeindrucken. Bissspuren an Stuhlbeinen zeugten von unseren Auseinandersetzungen.
Zu unser beider Glück traf ich einen erfahrenen Hundemann, der uns bei einem unserer leichteren Kämpfe beobachtet hatte. Er riet mir zur Deeskalation. In Konflikten vermied ich es fortan, Timmy direkt zu bedrängen, sondern ich redete mit ihm. Ich stand vor ihm und gab immer wieder das Kommando, bis er es endlich ausführte. Das konnte dauern. Platz legen: fünf Minuten; stillhalten, um die Zecken zu entfernen: zwanzig Minuten; das geklaute Hähnchen wieder rausrücken: keine Chance! Mit der Zeit siegte meine Sturheit und unsere Konflikte wurden wesentlich weniger dramatisch ausgetragen. Alle Kommandos, bei denen der Hund sich in meiner Nähe aufhielt, klappten sogar sehr gut. War
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