Hunde Jahrbuch
allerdings etwas Distanz zwischen uns – zum Beispiel wenn Timmy ein Reh jagte –, war es vorbei mit der guten Erziehung.
Von einem Gemeindeglied war ich eines Tages zum Essen eingeladen worden. Am folgenden Sonntag würde ich Wild schlemmen. Als alleinstehende Frau waren mir Essenseinladungen sehr willkommen. Wer bereitet schon ein Einpersonensonntagsmenue zu? Kurz drauf klingelte das Telefon. „Ach ja, ich wollte nur sagen, Sie können den Hund ruhig mitbringen“, tönte es aus dem Hörer. Ich erkannte: Eigentlich war der Hund eingeladen, ich durfte auch kommen.
Es war Sonntag. Die Tafel war festlich gedeckt. Der Wein stand auf dem Tisch. Eine ordentliche Wohnung und mittendrin ich und mein kleines Ungestüm. Ich band mir die Hundeleine an den Gürtel und setzte mich hin.
„Ach, lassen Sie ihn doch laufen, der will sich nur umgucken“, ermunterte meine Gastgeberin mich.
„Ja, aber er wedelt schnell was runter und er klaut auch vom Tisch“, entgegnete ich.
„Ich pass schon auf, bei uns kann er nichts anstellen“, wurde mir versichert.
Misstrauisch, aber der Gastgeberin gehorchend löste ich die Leine. Das Essen war fantastisch: zartes Reh, würziger Hirsch, dazu viel leckere Soße. Genau das Richtige für eine hungrige Pfarrerin am Sonntagmittag nach dem Gottesdienst. Auch der Pudding mundete vorzüglich. Da, ein Geräusch aus der Küche. Ich wollte aufspringen, aber die Hausfrau ließ das nicht zu. Sie drückte mich zurück auf meinen Stuhl.
„Ich muss eh was draußen holen“, wurde ich beruhigt.
Stille.
„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte ich mich.
„Ja, alles okay“, kam die Antwort.
Erst Jahre später sollte mir Frau Klößmann beichten, dass Timmy damals quer über dem Küchentisch hing und gerade die Platte mit den reichlichen Resten des Fleisches verputzt hatte. Sie hielt sich den Bauch vor Lachen und konnte die Antwort auf meine beunruhigte Frage gerade so rausjapsen. Nie hätte sie den süßen Hund an sein strenges Frauchen verraten.
Überhaupt hatte Timmy einen regelrechten Fankreis in der Gemeinde. Die Kirchenvorstandsvorsitzende ging mit ihm spazieren, die Mitglieder des Jugendclubs tobten mit ihm, die Küsterin steckte ihm Leckerchen zu. Selbst die Gemeindesekretärin, die eigentlich Angst vor Hunden hatte, fand Timmy ausgesprochen sympathisch. Alle mochten ihn. Dem tat es auch keinen Abbruch, dass Timmy mit den Kirchenglocken nicht kompatibel war. Kaum erklang das – zugegebenermaßen nicht übermäßig harmonische – Geläut, begann Timmy zu heulen. Riefen die Glocken zum Gottesdienst, so rief Timmy alle Caniden der Welt zur Versammlung. Deshalb wurde er immer rechtzeitig ins Haus gesperrt. Eine gute Schallisolierung ist in Pfarrhäusern besonders wichtig.
So schwierig Timmy auch bisweilen in der Erziehung war, nie musste ich mir Sorgen machen, dass er Fremde beißen würde. Auch zu anderen Hunden war er ausnehmend freundlich und selbst gefährliche Raufer erlagen seinem Charme und ließen sich zu einem Spielchen animieren. Einmal sogar durfte ich beobachten, wie mein wilder Draufgänger mit einem älteren blinden Hund spielte. Immer wieder hielt er inne und ließ dem anderen Zeit, sich zu orientieren. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass er sich derart auf einen Schwächeren einstellen konnte.
Wie hoch muss ein Zaun sein, um einen großen Hund einzusperren? Ich hielt eineinhalb Meter für ausreichend und so wurde der Zaun um den großen Pfarrgarten entsprechend ausgebaut. Timmy bewies, es reichte nicht.
„Frau Belzer, Ihr Hund ...“, rief die Sekretärin, als ein Hundeschwanz vor ihrem Fenster erschien. Timmy hatte bei seiner Flucht wie üblich die Rute hoch getragen und sich somit verraten. Oft brachten mir wildfremde Leute meinen Hund zurück. Einmal stand ein Knirps vor meiner Tür, der gerade mal einen Kopf größer war als mein mächtiger Rüde. „Der Timmy war mit mir einkaufen. Mama hat gesagt, ich muss ihn zurückbringen“, krähte der Junge.
Als erste Maßnahme gegen diesen Freiheitsdrang beschloss ich, den Macho kastrieren zu lassen. Zu viele Mischlingshunde bevölkerten die Tierheime, Timmy sollte nicht für Nachwuchs sorgen. Die Operation verlief unspektakulär, aber die Reaktionen meiner männlichen Bekannten waren höchst amüsant. Das Mindeste war ein betroffener Gesichtsausdruck, häufig löste die Ankündigung aber auch unbewusste Schutzgesten in Richtung der eigenen Genitalgegend aus. Schön, wie
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