Hunde Jahrbuch
gab Acht, was der Hund trieb. Deshalb konnte sie sich nicht konzentrieren. Immer wieder versank sie ein bisschen im Damals mit Francesco, bereitete sich vor, seine Hand zu nehmen und sich an seine Seite zu schmiegen, da war schon wieder der Hund. Brachte einen Wasserball, einen toten Fisch, eine rostige Gabel und Francesco musste warten. Eigentlich musste Francesco den ganzen Strand lang warten. Denn der Hund war lebendig und jetzt.
Emma – harte Schale, weicher Kern
Im Andenken an Pia Bracony Schilling
Hans-Jürgen Mülln
Sie hat eine ebenso ausgeprägte wie widersprüchliche Persönlichkeit, ist immer zugeknöpft wie ein Stiftsfräulein, aber elegant wie ein edles Rennpferd, ist schrecklich egozentrisch, stur und in jeder Hinsicht kapriziös, trägt den Kopf hoch, gibt sich stolz, vornehm und unnahbar, ist stets ernst und von einer gewissen Melancholie umflort. – Und doch, es gibt unter ihrer eher abweisenden Schale noch das andere, ihr gutmütiges und liebevolles Wesen, das sie – sich selber schützend – aber nur selten durchscheinen lässt. Von wem hier die Rede ist? Von meiner Frau oder meiner Tochter (die ich nicht habe)? Keineswegs, sondern von Emma, meiner schwarzen Doggenhündin – nein, nicht aus Bordeaux, sondern rein deutsch natürlich, Jahrgang 1997 –, einer waschechten Hessin mit einer Widerristhöhe von beeindruckenden 76 Zentimetern, einem höchst introvertierten Geschöpf, das allerdings über Qualitäten verfügt, die selbst so mancher Zweibeiner nicht für sich beanspruchen kann, wie das folgende Beispiel zeigt.
Meine Schwiegereltern, beide um die zurückliegende Jahrhundertwende bereits weit in den Sechzigern, pflegten an den Wochenenden gerne mit dem Auto ausgedehnte Sightseeing-Touren im Hessischen zu unternehmen. Emma war damals noch gut zu Fuß und hatte noch nicht mit einem Altersherzen zu kämpfen wie heute. Deshalb erlaubten meine Frau und ich meinen Schwiegereltern, Emma in den Wintermonaten auf ihren ganztägigen Ausflügen zum verschneiten Vogelsberg mitzunehmen, die sich meistens einen ganzen Samstag lang hinzogen. Denn Emma liebte den Schnee ebenso wie das Autofahren. Sie genoss es sichtlich, bequem auf der Rückbank zu liegen und die vorbeiziehenden Landschaften, Menschen und Tiere neugierig zu betrachten, wobei sie das Gesehene fast ohne Unterlass grollend, wuffend oder laut bellend kommentierte. Diese Spritztouren waren auch immer mit ausgedehnten Spaziergängen in den verschneiten Wäldern verbunden, die die schneesüchtige Dogge jedes Mal in wahre Begeisterungstaumel versetzten, wie mir mein Schwiegervater versicherte. „Die hüpft dann immer herum wie ein verrücktes Känguru.“ Er berichtete aber auch von einem sich stets wiederholenden Verhalten Emmas auf diesen winterlichen Wanderungen zu dritt, das selbst ihm, der gewiss nicht zu den Schnellmerkern gehörte, irgendwann aufgefallen war. Man könnte es durchaus als ein fürsorgliches Verhalten Emmas bezeichnen, das sie ihrer „Oma“ angedeihen ließ, wenn diese sich mit ihrer Teilnahme an den langen und anstrengenden Spaziergängen im Schnee – deren Verlauf ich mir freilich lebhaft vorstellen kann – regelmäßig zu viel zumutete.
Von kleinwüchsiger, dazu noch korpulenter Statur und gesundheitlich angeschlagen, konnte sie weder mit der übermütig herumspringenden, energiegeladenen Dogge noch mit dem Göttergatten mithalten, der – wenig Rücksicht auf die Gattin nehmend – wie ein Hans-guck-in-die-Luft vorneweg und darauflos marschierte. Sie hingegen, wie sie mir selbst berichtete, bildete stets das Schlusslicht, stapfte nur mit Mühe hinterher, oft mit ihren kurzen Beinen im Tiefschnee versinkend, der ihr wirklich zu schaffen machte. Und es war erstaunlicherweise die Hündin, das vierbeinige Enkelchen, nicht mein Schwiegervater, die schließlich bemerkte, dass die „Oma“ aufgrund ihrer Konstitution Schwierigkeiten hatte, den Anschluss zu halten. Emma blieb ab und zu stehen, schaute sich beunruhigt nach der alten Frau um, die immer weiter zurückfiel. Wenn der Abstand Emmas Meinung nach jedoch zu groß geworden war, lief die Dogge – und nicht der Gatte! – zur „Oma“ zurück, den Fang weit wie zu einem Lächeln geöffnet, als wollte sie sie ermuntern, nicht schlappzumachen und weiterzugehen. Ja, und manchmal „hat mich das Emmchen dabei sogar mit der Nase leicht angestupst“, berichtete mir meine Schwiegermutter, über alle Maßen gerührt.
Diese Episode machte mich damals
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