Hunde Jahrbuch
Menschen hält, sie nicht wie seine zwei Jahre jüngere Gefährtin anspringt und sich anbiedert – nein, er schaut nur klug und ruhig, genießt es aber auch, wenn man ihn beachtet und streichelt. Er ist gut abrufbar und kann frei laufen; zu Kindern ist er vorsichtig, ja beinahe ritterlich. Unser kleiner Enkel treibt es schon mal zu bunt mit ihm, dann geht der Hund langsam davon und sucht Schutz bei mir. Eigentlich wäre er vom Wesen her ein Therapiehund. Weil er so souverän anderen Hunden gegenüber ist und auffallend gut auch auf leise Kommandos hört, hat er schon oft anerkennende Bemerkungen und so manches Lob eingeheimst.
Ernie ist wie ein Freund, hört gern zu, wenn wir mit ihm reden, und er hat sich allerhand Dinge einfallen lassen, wie er mit uns kommuniziert. Ist der Wassernapf leer, bringt er ihn und wirft ihn uns vor die Füße. Muss er nachts raus, bellt er kurz und klagend und klopft gegen die Tür. Will er spazieren gehen, schleppt er sein Spielzeug heran. Unglaublich ist die Freude, wenn Herrchen fragt: ,,Wer will mit raus?“ Seine zwei Jahre jüngere Gefährtin wurde inzwischen von ihm ohne Zwang hervorragend erzogen – na ja, ihr überschäumendes Temperament kann auch er nicht zügeln.
Ernie hat eine natürliche Dominanz, ist ruhig und überlegen. Uns gegenüber ist er selbstbewusst, kennt aber seine Stellung und akzeptiert sie. Negative Eigenschaften? Wenn jemand ihn anspricht oder mit einem Hund unterwegs ist, geht er gern kontrollieren, ob dieser Mensch Leckerlis in der Tasche hat und einige davon rausrückt. Das können wir dem alten Bettler nicht abgewöhnen. Wenn er sich allein fühlt, macht er den Schrank auf und schaut, ob er was zu futtern findet. Manchmal ist es auch die Mülltonne, die durchsucht wird. Wer in der Prägephase vom Betteln und Klauen leben musste, vergisst das wohl nie.
Zu Hause wird auch schon mal am Tisch gebettelt, mit Erfolg natürlich. Komisch – in einem Lokal verschwindet er unter dem Tisch und würde das nicht wagen. Wie kann ein Hund nur unterscheiden, wo er sich befindet?
Über Mäuse hat Ernie seine eigenen Ansichten. Manchmal buddelt er im Team mit seiner Gefährtin ein Loch aus und wehe der Maus, die unachtsam ist! Er jagt sie, hat aber noch nie eine gefangen und würde ihr sicher auch nicht tun. Katzen sind für Ernie kein Problem mehr. Nur eine mag er nicht und geht ihr aus dem Weg, denn sie hat ihm einmal ein schlimmes Auge verpasst. Mit einem Kater, der auch ganz schwarz ist, hat er ein zu Herzen gehendes Morgenritual entwickelt: Beide tauschen Küsschen aus, mauzen gemeinsam und reiben sich aneinander. Es ist unglaublich, das anzusehen.
Wenn ich traurig bin, hört Ernie zu. Er legt den Kopf auf meine Knie und schaut mich an. Rede ich mit ihm und erzähle ihm meinen Kummer, seufzt er, als könnte er alles nachempfinden. Ich mag nicht daran denken, dass er irgendwann nicht mehr bei uns ist. Wir hatten im Verlauf von mehr als dreißig Jahren schon etliche Hunde, alle waren besondere Charaktere und wir haben sie geliebt, mit ihren Stärken und Schwächen.
Ob wir – aus Altersgründen – jemals noch einen neuen Hund halten können, vermögen wir nicht mit Sicherheit zu sagen. Aber eines ist klar: Einen zweiten ERNIE gibt es nicht. Oh, ich gäbe etwas darum, ihn noch sehr lange als Begleiter zu haben.
Ein Hund der Sprachlosigkeit
Die Geschichte eines Straßenhundes
Andrea Feder
Schön war der Urlaub gewesen. Schön, aber mal wieder zu kurz! Nur noch eine Woche und es geht zurück ins frostig kalte Deutschland. Zeit, die Souvenirs zu kaufen für die Hundesitter daheim, ohne die die Flugreise nach Korinthos nicht möglich gewesen wäre.
Wir fahren mit unserem Mietwagen Richtung Innenstadt. Die Straße ist staubig und es ist glühend heiß. Mein Blick geht zum Beifahrerfenster hinaus. Da sehe ich sie am Straßenrand liegen. Automatisch trete ich aufs Bremspedal und halte rechts an. Ich steige aus und schaue zum ersten Mal in ihre Augen. Ihr Blick durchfährt meinen Körper wie ein Blitz und ist in Sekundenschnelle im kleinen Zeh angekommen. An den hilflosen Augen hängt ein extrem magerer Hundekörper mit spärlichem Fell, dessen Wuscheligkeit sich nur erahnen lässt. Riesige kahle Stellen offenbaren eine schuppige Haut. Eine schlaffe Pfote versucht durch Kratzen des Ohres die dreiste Blutrünstigkeit der Stechmücken zu überlisten.
„Eh, Mädchen, dies ist ein schlechter Platz zum Ausruhen. Komm, steh auf!“ Sie kann es nicht. Der
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