Hundejäger töten leise
Tschilke beobachten.
Ihn, Edwin und wer sonst noch bei dem alten Tschilke in Diensten steht. Damit —
ich spüre es förmlich — werden wir die Bande der Hundejäger entlarven.“
„Wahrscheinlich.“
Locke lehnte sich an den Stamm
der Ulme, schüttelte ihre braune Mähne, schob eine Hüfte etwas vor und stützte
eine Hand in die Taille. Ihre schwarzen Augen waren auf den asphaltierten Boden
gerichtet. Über der schmalen Nase kerbte sich eine nachdenkliche Furche in die
Stirn.
Sie sah zum Anbeißen aus.
Tom schluckte und dachte: Einen
Kuß möchte ich ihr geben. Aber täte ich’s — hier, würde sie mir eine knallen,
daß ich den Fudschijama für eine Karate-Technik halte. Hm! Wie süß sie wieder
angezogen ist.
Das war nun stark übertrieben.
Locke trug lediglich einen roten bauschigen Rock, der in Indien oder ähnlicher
Gegend geschneidert worden war, und dazu einen schwarzen Sommerpulli ohne
Ärmel. Die braungebrannten, langen Beine waren nackt und die Füße steckten in
Sandalen mit knäckebrotdünner Sohle. Eine wenig aufwendige Kluft, also. Aber an
Locke sah alles toll aus. Die Trägerin machte es.
Ihre langen Haare fielen nach
vorn und umrahmten das Gesicht. Jetzt hob sie den Kopf, ihr Blick wanderte zu
der Tschilke-Gruppe hinüber.
Danny war auch heute gekleidet,
als käme er gerade aus einer Disco. Er wandte Locke und Tom den Rücken zu und
gab irgendwelchen Blödsinn von sich, zu dem die andern pflichtschuldig lachten.
Das taten sie immer, denn nur wer Danny hofierte, durfte — gelegentlich — im
Porsche mitfahren. Außerdem spendierte Danny abends in der Disco regelmäßig
Runden für seine Freunde. Und wer wollte nicht zu seinen Freunden zählen, wenn
es Schnaps, Bier und Wein umsonst gab?!
Hoppla! Was will der denn?
Lockes Augen wurden groß.
Ein Junge trat zu Danny
Tschilke, sprach ihn an.
„Das ist Werner Urban“, sagte
Tom. „Der fixt.“
„Wirklich? Der nimmt
Rauschgift?“
„So sagt man. Und wie der
aussieht...“
Damit hatte er recht.
Werner Urban war 17, ein
hagerer Typ mit fahler Haut und unnatürlich geweiteten Augen. Er wirkte krank.
Seine Haltung war schlaff. Er hatte eine nervöse Art, sich die Nase zu wischen,
und seine Gesten waren fahrig.
„Jetzt wird Tschilke als Dealer
( Rauschgifthändler ) gebraucht“, sagte Tom.
Tschilke löste sich von der
Gruppe und trat mit Urban beiseite.
„Weißt du, was die jetzt reden“,
sagte Tom leise. „Urban fragt nach Stoff. Sieh dir Tschilkes Visage an! Wie der
sich ziert. Moment, ja, ich kann’s ablesen!“
Tom kniff die Augen zusammen
und starrte zu Tschilke hinüber.
Das mit dem Ablesen war eine —
erlernte — Fähigkeit, die Locke an ihrem Freund bewunderte. Tom konnte nämlich
Gesprochenes von den Lippen ablesen — wenn er außer Hörweite war. Gelernt hatte
er das, vor einem jahr, bei einem Lehrer für Taubstumme.
Diesen bedauernswerten
Menschen, die weder hören noch sprechen können, bleiben nur zwei Möglichkeiten,
um sich mitzuteilen: Zeichensprache und Schrift. Aber auf der Taubstummenschule
lernen sie, andere — redende — Menschen zu verstehen, indem sie ihnen die Worte
von den Lippen ablesen. Freilich gelingt das nur, wenn der Sprecher mit den
Lippen die Worte halbwegs deutlich formt.
Tom, der Ohren besaß wie ein
Luchs, hatte den Taubstummenlehrer zufällig kennengelernt, sich für das
Lippenlesen interessiert und sich intensiv damit beschäftigt. Letztlich, weil
er sich sagte, daß es nur nützlich sein kann. Wie jetzt.
Tschilke stand mindestens 20
Meter entfernt. Und redete leise. Aber sein Gesicht war in Toms Richtung
gedreht, und der las von den Lippen.
„Er sagt: Ich weiß zwar
nicht, Urban, warum du... damit ausgerechnet... zu mir kommst. Aber ich...kenne
einen Dealer .“
„Rätst du, oder stimmt das?“
staunte Locke.
„Stimmt Wort für Wort! Jetzt
sagt er: Um... nicht erkannt zu werden, verhökert der sein Ha — H, also,
der meint Heroin — über tote Briefkästen. Zum Beispiel benutzt er... den
hohlen Stamm der... Blitzbuche. Ja, Locke! Blitzbuche! Jetzt: Ich werde
ihm sagen..., daß du dort heute zwei große Scheine... hinblätterst. Punkt drei
Uhr. Dann haust du ab! Eine halbe Stunde später liegt dort... dein Stoff .“
„Phantastisch!“ lobte Locke.
„Das mußt du mir unbedingt beibringen.“
„Nee!“ lachte er. „Wenn du das
alles selbst kannst, besteht die Gefahr, daß du mich nicht mehr brauchst.“
Locke lächelte und knuffte ihn
in die Rippen. „Unersetzlich
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