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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Schlimm war nur, daß der Regen alles auf den Kopf stellte und daß im Getriebe der dürrsten Maschinen Blumen blühten, sofern man sie nicht alle drei Tage ölte, daß die Fäden der Brokatstoffe rosteten und daß auf der nassen Wäsche Safrantang wuchs. Die Luft war so feucht, daß die Fische, durch die Türen herein- und durch die Fenster herausspazierend, die Luft der Zimmer hätten durchschwimmen können. Eines Morgens erwachte Ursula in dem Gefühl, daß sie in angenehmer Benommenheit erlosch, und bat denn auch, man möge sie, notfalls auf einer Tragbahre, zu Pater Antonio Isabel bringen, als Santa Sofía von der Frömmigkeit entdeckte, daß ihr Rücken mit Blutegeln gespickt war. Rasch, bevor die Tiere sie ganz ausbluten konnten, entfernte man sie, indem man sie mit einem glühenden Scheit wegbrannte. Es wurde notwendig, Entwässerungskanäle um das Haus zu graben und es von Kröten und Schnecken zu säubern, damit man die Böden trockenlegen, die unter die Bettpfosten geschobenen Backsteine fortnehmen und man selbst wieder in Schuhen gehen konnte. Mit den vielfältigen Obliegenheiten beschäftigt, merkte Aureliano Segundo nicht, daß er alterte, bis zu einem Nachmittag, als er in einem Schaukelstuhl die frühe Abenddämmerung betrachtete und an Petra Cotes dachte, ohne zu erzittern. Es hätte ihn keinerlei Mühe gekostet, zur faden Liebe Fernandas zurückzukehren, deren Schönheit mit der Reife zur Ruhe gegangen war; doch der Regen hatte ihn gegen alle Nöte der Leidenschaft gewappnet und ihm den schwammigen Gleichmut der Appetitlosigkeit beschert. Er erfreute sich nur noch in Gedanken an den Dingen, die er bei diesem Regen, der fast schon ein Jahr dauerte, zu anderer Zeit unternommen hätte. Er hatte als einer der ersten Zinkplatten nach Macondo gebracht, früher noch, als diese durch die Bananengesellschaft in Mode gekommen waren, und zwar einfach, um Petra Cotes' Schlafzimmer damit zu decken und die tiefe Vertraulichkeit zu genießen, die damals das Prasseln des Regens auf dem Dach auslöste. Doch selbst diese verrückten Erinnerungen seiner absonderlichen Jugend ließen ihn kalt, als habe das letzte Bummelfest sein letztes Quentchen Geilheit aufgebraucht, als sei ihm nur das wunderbare Entgelt geblieben, sich alles Genossene ohne Bitterkeit oder Reue in die Erinnerung rufen zu können. Man hätte meinen mögen, erst die Sintflut habe ihm ermöglicht, sich hinzusetzen und nachzudenken, all das Gelaufe mit Kneifzange und Ölkännchen habe in ihm jene verspätete Lust auf ungezählte nützliche Handwerke wachgerufen, die er hätte im Leben ausüben können und die er nicht ausgeübt hatte, doch es traf weder das eine noch das andere zu, da die Versuchung zu einem seßhaften, häuslichen Leben weder eine Frucht der Überlegung noch der Bußfertigkeit war. Diese Neigung kam von weit her; der Regen hatte sie hervorgeholt aus Zeiten, als er in Melchíades' Kammer die wunderbaren Märchen von fliegenden Teppichen und Walfischen las, die sich von Schiffen mitsamt ihren Besatzungen ernährten. In jenen Tagen erschien durch ein Versehen Fernandas der kleine Aureliano in der Veranda, und so erfuhr sein Großvater das Geheimnis seiner Familienzugehörigkeit. Er schnitt ihm die Haare, kleidete ihn ein, lehrte ihn, die Angst vor den Menschen zu verlieren, und man sah sehr bald, daß er ein echter Aureliano Buendía war mit seinen hohen Wangenbögen, seinem staunenden Blick und seinem einsamen Aussehen. Für Fernanda war es eine Erleichterung. Seit langem sah sie ein, wie hoffärtig sie gewesen war, doch sie wußte nicht, wie sie sich bessern sollte, denn je mehr Möglichkeiten sie ersann, desto weniger durchführbar erschienen sie ihr. Hätte sie geahnt, daß Aureliano Segundo die Dinge nehmen würde, wie er sie nahm, nämlich mit der Gutmütigkeit eines Großvaters, sie hätte auf viele Umschweife und Umstände verzichten können und schon vor einem Jahr alle Qual über Bord geworfen. Für Amaranta Ursula, die bereits ihre Milchzähne verloren hatte, war der Neffe wie ein quecksilbriges Spielzeug, das sie über die Langeweile des Regens hinwegtröstete. Nun erinnerte sich Aureliano Segundo an die englische Enzyklopädie, die seither niemand mehr in Memes altem Schlafzimmer berührt hatte. Und er begann, den Kindern die Bildtafeln zu zeigen, zumal die der Tiere, später die Landkarten und Fotos ferner Länder und berühmter Persönlichkeiten. Da er kein Englisch konnte und kaum die bekanntesten Städte und berühmtesten

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