Hundert Jahre Einsamkeit
Einsamkeit und des Schweigens der Aufzucht einer Kinderschar gewidmet hatte, die sich kaum daran erinnerte, ihre Kinder und Enkel zu sein, und die Aureliano betreute, als sei er ihrem Schoß entsprungen, ohne daß sie selbst wußte, daß sie seine Urgroßmutter war. Nur in einem Haus wie diesem war es denkbar, daß sie auf einem Rupfensack in der Kornkammer schlief, mitten im nächtlichen Treiben der Ratten, ohne je einem Menschen von dem gräßlichen Eindruck zu erzählen, sich in der Dunkelheit angestarrt zu fühlen und zu spüren, daß eine Viper über ihren Bauch glitt. Sie wußte, daß, hätte sie es Ursula erzählt, diese ihr das eigene Bett angeboten hätte, doch das war in einer Zeit geschehen, wo niemand auch nur das geringste wahrnahm, solange man es nicht in der Veranda laut herausschrie, weil die viele Arbeit in der Bäckerei, die Wirren des Krieges, die Sorge um die Kinder niemandem Zeit übrigließen, an das Glück anderer zu denken. Petra Cotes, die sie nie sah, war die einzige, die sich ihrer erinnerte. Sie sorgte dafür, daß sie ein brauchbares Paar Schuhe zum Ausgehen hatte, daß ihr nie ein Kleid fehlte, auch nicht in den Zeiten, als man mit dem Erlös der Verlosungen Wunder wirken mußte. Als Fernanda ins Haus kam, hatte sie allen Grund anzunehmen, sie hätte es mit einer ewigen Dienerin zu tun, und wenn sie auch mehrmals sagte, jene sei die Mutter ihres Gatten, kam ihr das so unglaublich vor, daß sie länger brauchte, es zu begreifen, als es zu vergessen. Santa Sofía von der Frömmigkeit schien sich an ihrer untergeordneten Stellung nie zu stoßen. Sie erweckte im Gegenteil den Eindruck, als habe sie Freude daran, ohne Unterlaß, ohne ein Wort der Klage alle Winkel des Hauses zu durchstöbern und das riesige Anwesen sauber und ordentlich zu halten, das Haus, in dem sie seit ihrer Jugend gewohnt hatte und das zumal in den Zeiten der Bananengesellschaft mehr einer Kaserne als einem Heim geglichen hatte. Doch als Ursula starb, begannen Santa Sofías von der Frömmigkeit übermenschlicher Fleiß und ihre ungeheuerliche Arbeitskraft zu schwinden. Nicht nur, weil sie alt und erschöpft war, auch das Haus verfiel von einem Abend auf den nächsten Morgen der Altersschwäche. Zartes Moos kroch an den Wänden hoch. Als es schon keine glatte Fläche mehr im Innenhof gab, durchbrach Gestrüpp von unten den Zementfußboden der Veranda, splitterte ihn wie Glas, und durch die Ritzen drangen die gleichen gelben Blümchen, die Ursula fast ein Jahrhundert zuvor in dem Gefäß gefunden hatte, in dem Melchíades künstliches Gebiß aufbewahrt gewesen war. Ohne über die Zeit und die Hilfsmittel zu verfügen, um das Ungestüm der Natur zu bremsen, verbrachte Santa Sofía von der Frömmigkeit ihren Tag in den Schlafzimmern, wo sie die Eidechsen verscheuchte, die bei Einbruch der Nacht immer wiederkamen. Eines Morgens beobachtete sie, wie die bunten Ameisen aus den unterminierten Fundamenten krochen, den Garten durcheilten, die Balustrade erklommen, wo die Begonien die Farbe der Erde angenommen hatten, und bis ins tiefe Innere des Hauses vordrangen. Anfangs suchte sie sie mit einem Besen totzuschlagen, dann mit Insektenpulver und schließlich mit Kalk zu vertilgen, doch am nächsten Tag waren sie wieder an Ort und Stelle und zogen ihres Wegs, beharrlich, unbezwinglich. Fernanda, die Briefe über Briefe an ihre Kinder schrieb, nahm den unaufhaltsamen Ansturm der Zerstörung nicht wahr. Santa Sofía von der Frömmigkeit kämpfte allein weiter, versuchte dem Unkraut den Zugang zur Küche zu verwehren, riß die Büschel von Spinnweben, die in wenigen Stunden wieder da waren, von den Wänden und schabte die Termitengänge ab. Doch als sie sah, daß auch Melchíades' Kammer sich mit Staub und Spinnweben überzog, wenngleich sie sie dreimal am Tag fegte und abstaubte, und daß sie trotz ihres Putzfimmels von Rum und Elendsluft bedroht war, die nur Oberst Aureliano Buendía und der junge Soldat vorausgesehen hatten, gab sie sich geschlagen. Nun zog sie ihren abgetragenen Sonntagsstaat an, ein Paar alte Schuhe Ursulas und Baumwollstrümpfe, ein Geschenk Amaranta Ursulas, und packte die zwei oder drei Kleidungsstücke, die ihr zum Wechseln geblieben waren, zu einem Bündel zusammen.
»Ich gebe auf«, sagte sie zu Aureliano. »Zu viel Hausarbeit für so armselige Knochen.«
Aureliano fragte sie, wohin sie gehe, worauf sie eine vage Geste beschrieb, als habe sie nicht die geringste Vorstellung von ihrem Schicksal. Trotzdem
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