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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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versuchte sie ihm klarzumachen, daß sie ihre letzten Jahre bei einer Kusine väterlicherseits in Riohacha zu verbringen gedenke. Das war keine einleuchtende Erklärung. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie mit keinem einzigen Dorfbewohner in Verbindung gestanden, sie hatte weder Briefe noch Botschaften empfangen, auch hatte man sie nie von Verwandten reden hören. Aureliano schenkte ihr vierzehn goldene Fischchen, da sie dabei war, mit ihrem einzigen Besitz abzuziehen: mit einem Peso und fünfundzwanzig Centavos. Von seinem Zimmerfenster aus sah er sie mit ihrem Wäschebündel durch den Innenhof gehen, die Füße nachziehend, von den Jahren gebeugt, dann sah er sie die Hand durch ein Loch des soeben durchschrittenen Portals strecken, um den Sicherheitsriegel wieder vorzuschieben. Kein Mensch hörte je wieder von ihr.
    Als sie von ihrer Flucht erfuhr, zeterte Fernanda den ganzen Tag, während sie Truhen, Kommoden und Schränke, ein Stück nach dem anderen durchwühlte, um sich zu überzeugen, daß Santa Sofía von der Frömmigkeit nichts mitgenommen hatte. Sie verbrannte sich die Finger bei dem Versuch, zum ersten Male in ihrem Leben Feuer zu machen, und mußte Aureliano um den Gefallen bitten, ihr das Kaffeekochen beizubringen. Mit der Zeit übernahm er denn auch den Küchendienst. So fand Fernanda beim Aufstehen das Frühstück fertig zubereitet und verließ ihr Schlafzimmer erst wieder, um sich ihr Essen abzuholen, das Aureliano für sie auf kleinem Feuer warm hielt und das sie am Kopfende des mit einem Leinentischtuch und Kandelabern geschmückten Eßzimmertischs mutterseelenallein vor fünfzehn leeren Stühlen verzehrte. Auch unter diesen Umständen teilten Fernanda und Aureliano nicht die Einsamkeit, vielmehr lebte ein jeder seine eigene Einsamkeit, ein jeder machte sein eigenes Zimmer, während die Spinnennetze die Rosensträucher mit Schnee bedeckten, die Balken überspannten und die Wände polsterten. In jener Zeit gewann Fernanda den Eindruck, als fülle sich das Haus mit Gespenstern. Es war, als hätten die Gegenstände, vor allem die des täglichen Gebrauchs, die Fähigkeit entwickelt, aus eigener Kraft den Standort zu wechseln. So verging Fernanda die Zeit damit, daß sie die Schere suchen mußte, von der sie felsenfest überzeugt war, daß sie sie aufs Bett gelegt hatte, und nachdem sie alles auf den Kopf gestellt hatte, fand sie sie auf einem Bord der Küche, die sie in den letzten vier Tagen nicht betreten zu haben vermeint hatte. Plötzlich lag keine Gabel mehr in der Besteckschublade, und schon fand sie sechs auf dem Altar und drei in der Waschküche. Dieser Stand der Dinge wurde noch beklemmender, wenn sie sich zum Schreiben hinsetzte. Dann tauchte das Tintenfaß, das sie stets rechts stehen hatte, links auf, das Löschpapier, das plötzlich verschwunden war, fand sie zwei Tage später unter ihrem Kopfkissen wieder, und die an José Arcadio geschriebenen Briefbogen mischten sich unter die für Amaranta Ursula bestimmten; auch war sie stets von der Vorstellung geplagt, sie habe die Briefe in die verkehrten Umschläge gesteckt, was denn auch mehrmals vorkam. Einmal verlor sie ihre Schreibfeder. Vierzehn Tage später gab der Briefträger, der sie in seiner Tasche gefunden hatte und ihren Eigentümer von Haus zu Haus suchte, sie ihr zurück. Anfangs glaubte sie, daß die unsichtbaren Ärzte dahinter steckten wie seinerzeit hinter den verschwundenen Pessaren, so daß sie diese sogar in einem Brief bat, sie doch in Ruhe zu lassen; sie mußte jedoch diesen Brief unterbrechen, und als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, fand sie den Brief nicht nur nicht wieder, sondern hatte auch ihren Vorsatz, ihn zu schreiben, völlig vergessen. Eine Zeitlang dachte sie, Aureliano sei der Anstifter. Daher begann sie ihn zu beobachten und legte ihm Gegenstände in den Weg, um ihn in dem Augenblick zu ertappen, wo er sie anderswohin legte; jedoch sehr bald kam sie zu der Überzeugung, daß Aureliano Melchíades' Kammer nur noch verließ, um in die Küche oder aufs Klosett zu gehen und überdies kein Mensch für Scherze war. Daher hielt sie das Ganze schließlich für Gespensterstreiche und beschloß, jedes Ding an seinen Gebrauchsort zu bannen. So band sie die Schere mit einer langen Hanfschnur am Kopfende ihres Bettes fest. Sie band den Federhalter und das Löschblatt ans Tischbein und klebte das Tintenfaß rechterhand auf den Tisch. Doch das Problem ließ sich nicht von einem Tag auf den anderen beheben, denn nach wenigen

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