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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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hausgemachten Karameltierchen auf Grund eines Versehens, das José Arcadio Buendía sich nie verzieh, nach wie vor im Dorf verkauft. Entzückt lutschten Kinder und Erwachsene die köstlichen, schlaflosgrünen Hähnchen, die erlesenen schlaflosrosenroten Fische und die zarten schlaflosgelben Pferdchen, mit dem Erfolg, daß der anbrechende Montag das ganze Dorf in wachem Zustand überraschte. Zunächst erschrak kein Mensch. Im Gegenteil, man freute sich darüber, nicht geschlafen zu haben, da es zu jener Zeit in Macondo so viel zu tun gab, daß die Zeit kaum ausreichte. Man arbeitete so fleißig, daß bald nichts mehr zu tun war, und ertappte sich um drei Uhr in der Frühe mit verschränkten Armen und zählte die Anzahl der Noten, die der Uhrenwalzer hatte. Wer schlafen wollte, nicht etwa aus Müdigkeit, sondern aus Sehnsucht nach den Träumen, nahm seine Zuflucht zu allen Arten der Erschöpfung. Man setzte sich zu endlosen Unterhaltungen zusammen, man wiederholte Stunden um Stunden dieselben Witze, man dehnte die Geschichte vom Kapaunhahn bis zu den Grenzen der Verzweiflung aus: Dies war ein endloses Spiel, bei dem der Erzähler fragte, ob sie wünschten, daß er ihnen die Geschichte vom Kapaunhahn erzähle, und wenn sie ja antworteten, sagte der Erzähler, er habe nicht verlangt, daß sie ja sagten, sondern daß sie wünschten, er solle ihnen die Geschichte vom Kapaunhahn erzählen, und wenn sie nein antworteten, sagte der Erzähler, er habe nicht verlangt, daß sie nein sagten, sondern daß sie wünschten, er solle ihnen die Geschichte vom Kapaunhahn nicht erzählen, und wenn sie stumm blieben, sagte der Erzähler, er habe nicht verlangt, daß sie stumm blieben, sondern daß sie wünschten, er solle ihnen die Geschichte vom Kapaunhahn erzählen, und es durfte auch niemand fortgehen, weil der Erzähler sagte, er habe nicht verlangt, daß sie fortgingen, sondern daß sie wünschten, er solle ihnen die Geschichte vom Kapaunhahn erzählen, und so weiter in einem Teufelskreis, der sich nächtelang hinzog.
    Als José Arcadio Buendía bewußt wurde, daß die Pest ins Dorf eingedrungen war, berief er die Familienvorstände, um ihnen zu erklären, was er von der Schlaflosigkeitskrankheit wußte, und man besprach Maßnahmen, um zu verhindern, daß die Plage auf andere Siedlungen des Moors übergriff. So nahm man denn den Ziegenböcken die kleinen Schellen ab, welche die Araber gegen die Papageien geliefert hatte, und stellte sie am Dorfeingang denjenigen zur Verfügung, welche die Ratschläge und Bitten der Wachtposten in den Wind schlugen und darauf bestanden, das Dorf zu besuchen. Jeder Fremde, der zu jener Zeit Macondos Gassen durchwanderte, mußte seine Schelle erklingen lassen, damit die Kranken wußten, daß er gesund war. Während seines Aufenthalts durfte er weder essen noch trinken, da kein Zweifel darüber bestand, daß die Krankheit sich nur durch den Mund übertrug und daß alles Eß- und Trinkbare von der Schlaflosigkeit angesteckt war. Auf diese Weise wurde die Plage auf den Umkreis des Dorfes beschränkt. Die Quarantäne war wirksam, so wirksam, daß der Tag kam, an dem der Notstand als etwas Natürliches galt und das Leben sich so einrenkte, daß die Arbeit ihren Rhythmus wiederfand und niemand mehr der überflüssigen Gewohnheit des Schlafens nachtrauerte.
    Aureliano ersann als erster die Formel, welche die Einwohner mehrere Monate hindurch gegen den Gedächtnisschwund verteidigen sollte. Er entdeckte sie zufällig. Da er als einer der ersten von dem Leiden heimgesucht worden war, hatte er als erfahrener Schlafloser die Silberschmiedekunst bis zur Vollkommenheit erlernt. Eines Tages suchte er das kleine Eisending, das er zum Auswalzen des Metalls verwendete, und besann sich nicht mehr auf dessen Namen. Sein Vater nannte ihn ihm: »Amboß«.
    Aureliano schrieb den Namen auf einen Zettel und klebte ihn an den Fuß des kleinen Eisendings: Amboß . So war er gewiß, ihn zukünftig nicht wieder zu vergessen. Dabei fiel ihm nicht auf, daß dies der erste Ausdruck des Vergessens war, weil der Gegenstand einen schwer zu behaltenden Namen besaß. Doch wenige Tage darauf entdeckte er, daß es ihm schwerfiel, sich an nahezu alle Dinge des Laboratoriums zu erinnern. Dann bezeichnete er sie mit dem entsprechenden Namen, so daß er nur die Beschriftung zu lesen brauchte, um sie benennen zu können. Als sein Vater ihm seine Bestürzung darüber mitteilte, er habe sogar die eindrucksvollsten Begebenheiten seiner Kindheit

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