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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Grabstätte notdürftig ausgehobenen gedenksteinlosen Grab, und José Arcadio Buendía kehrte ins Haus zurück, befreit von einer Bürde, die einen Augenblick lang so schwer auf seinem Gewissen gelastet hatte wie die Erinnerung an Prudencio Aguilar. Beim Durchschreiten der Küche küßte er Rebeca auf die Stirn.
    »Schlag dir alle bösen Gedanken aus dem Kopf«, sagte er. »Du wirst glücklich werden.«
    Rebecas Freundschaft eröffnete Pilar Ternera die ihr seit Arcadios Geburt verschlossenen Türen des Hauses. Sie kam zu jeder beliebigen Stunde des Tages wie eine Herde Ziegen und entfaltete ihren fieberhaften Tatendrang bei den schwersten Obliegenheiten. Mitunter ging sie in die Werkstatt und half Aureliano mit einer Tüchtigkeit und Zartheit, die ihn schließlich verwirrten, die Platten des Daguerreotyps lichtempfindlich zu machen. Diese Frau verblüffte ihn. Die Hitze ihrer Haut, ihr Rauchgeruch, ihr unvermitteltes Lachen in der düsteren Kammer störten seine Aufmerksamkeit und verleiteten ihn zu Ungeschicklichkeiten bei der Arbeit.
    Einmal war Aureliano mit einer Goldschmiedearbeit beschäftigt, und Pilar Ternera stützte sich auf den Tisch, um seinen geduldigen Arbeitseifer zu bewundern. Plötzlich geschah es. Aureliano merkte, daß Arcadio in dem dunklen Raum stand, noch bevor er den Blick hob und den Augen Pilar Terneras begegnete, deren Gedanken wie im Mittagslicht völlig sichtbar waren.
    »Schön«, sagte Aureliano. »Sag, was du auf dem Herzen hast.«
    Pilar Ternera biß sich traurig lächelnd auf die Lippen.
    »Daß du gut für den Krieg bist«, sagte sie. »Wohin du das Auge setzt, setzt du das Blei.«
    Der Beweis der Voraussage erleichterte Aureliano. Wieder wandte er sich seiner Arbeit zu, als sei nichts geschehen, und seine Stimme gewann Ruhe und Festigkeit.
    »Ich erkenne ihn an«, sagte er. »Er soll meinen Namen tragen.«
    José Arcadio Buendía bekam endlich, was er suchte: Er verband eine aufziehbare Tänzerin mit dem Uhrwerk, und nun tanzte das Spielzeug ununterbrochen zum Takt seiner eigenen Musik drei Tage hindurch. Diese Leistung erregte ihn viel mehr als jede seiner kopflosen Unternehmungen. Er aß nicht mehr. Er schlief nicht mehr. Ohne Ursulas Bewachung und Betreuung ließ er sich von seiner Einbildungskraft in einen Zustand des Dauertaumels hineinreißen, von dem er sich nie wieder erholen sollte. Die Nächte verbrachte er damit, daß er in seinem Zimmer kreisum lief, laut dachte und nach einem Mittel suchte, die Grundsätze des Pendels auf die Ochsenwagen, die Pflugscharen anzuwenden, auf alles, was, sofern in Bewegung gesetzt, Nutzen bringen konnte. Das Fieber der Schlaflosigkeit ermüdete ihn dergestalt, daß er den weißhaarigen wackeligen Greis, der eines Morgengrauens in sein Zimmer trat, nicht erkannte. Es war Prudencio Aguilar. Als er ihn endlich erkannte, verwundert, daß auch Tote alterten, wurde José Arcadio Buendía von Sehnsucht geschüttelt. »Prudencio«, rief er aus, »wieweit bist du gelaufen!« Nach vielen Todesjahren war das Verlangen nach den Lebenden so tief, das Bedürfnis nach Gesellschaft so dringend, so entmutigend die Nähe jenes zweiten Todes, der innerhalb des ersten existierte, daß Prudencio Aguilar schließlich seinem schlimmsten Feind wohlwollte. Vermutlich suchte er ihn seit langem. Er hatte die Toten von Riohacha nach ihm gefragt, die Toten, die aus dem Upar-Tal kamen, die, welche vom Moor kamen, und niemand hatte ihm Auskunft geben können, weil Macondo für die Toten ein unbekanntes Dorf war, bis Melchíades kam und es auf den buntscheckigen Landkarten des Todes mit einem schwarzen Pünktchen einzeichnete. José Arcadio Buendía unterhielt sich mit Prudencio Aguilar bis zum Tagesanbruch. Wenige Stunden danach, erschöpft von der Nachtwache, trat er in Aurelianos Werkstatt ein und fragte: »Welcher Tag ist heute?« Aureliano antwortete, es sei Dienstag. »Das dachte ich auch«, sagte José Arcadio Buendía. »Doch plötzlich ist mir aufgegangen, daß es nach wie vor Montag ist, wie gestern. Sieh den Himmel, sieh die Wände, die Begonien. Auch heute ist Montag.« Der an sein Spintisieren gewöhnte Aureliano beachtete ihn nicht. Am nächsten Tag, dem Mittwoch, kam José Arcadio Buendía wieder in die Werkstatt. »Es ist ein Verhängnis«, sagte er. »Sieh die Luft, hör das Summen der Sonne, genau wie gestern und vorgestern. Auch heute ist Montag.« In jener Nacht traf Pietro Crespi ihn im Hausgang, hilflos wimmernd wie alte Leute, Prudencio Aguilar

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