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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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beweinend, Melchíades, Rebecas Eltern, seinen Papa und seine Mama, alle, auf die er sich besinnen konnte und die nun allein waren im Tod. Er schenkte ihm einen aufziehbaren Bären, der mit zwei Pfoten auf einem Seil spazierte, doch er vermochte ihn nicht von seiner Besessenheit abzulenken. Fragte ihn, was aus seinem ihm vor Tagen auseinandergesetzten Plan geworden sei, jene Möglichkeit, eine Pendelmaschine zu bauen, die dem Menschen als Flugapparat dienen könne, und er erwiderte, er sei nicht auszuführen, weil das Pendel zwar x-beliebiges in die Luft heben könne, aber nicht sich selber. Am Donnerstag erschien er von neuem mit dem jämmerlichen Aussehen verwüsteter Erde in der Werkstatt. »Die Zeitmaschine ist auseinandergebrochen«, schluchzte er fast. »Und Ursula und Amaranta sind so weit weg!« Aureliano schalt ihn wie ein Kind, und schon machte er ein fügsames Gesicht. Sechs Stunden lang musterte er die Dinge und suchte einen Unterschied zu ihrem Aussehen vom vorhergegangenen Tag festzustellen, bemüht, an ihnen irgendeine Veränderung zu entdecken, die den Ablauf der Zeit offenbarte. Die ganze Nacht lag er mit offenen Augen im Bett und rief Prudencio Aguilar, Melchíades, alle Toten, damit sie seinen Kummer teilten. Doch niemand eilte herbei. Am Freitag, noch bevor jemand aufstand, beobachtete er wiederum den Anschein der Natur, bis nicht der geringste Zweifel mehr für ihn bestand, daß es immer noch Montag war. Dann packte er einen Türriegel, und mit der geballten Gewalt seiner ungewöhnlichen Körperkräfte zerschlug er seine alchimistischen Apparate und sein Daguerreotypie-Kabinett zu Staub sowie die Goldschmiedewerkstatt, wie ein Besessener in einer hochtönenden, flüssigen, jedoch völlig unverständlichen Sprache zeternd. Schon schickte er sich an, den Rest des Hauses zu zerstören, als Aureliano die Nachbarn zu Hilfe rief. Zehn Männer waren nötig, um ihn niederzuringen, vierzehn, um ihn zu fesseln, zwanzig, um ihn zur Kastanie des Innenhofs zu schleppen, wo man ihn mit grünschäumenden Lippen in fremden Zungen bellend angebunden zurückließ. Als Ursula und Amaranta zurückkehrten, stand er noch immer mit Füßen und Händen an den Stamm der Kastanie gefesselt, regendurchnäßt und im Stand vollkommener Unschuld. Sie sprachen ihn an, und er blickte sie an, erkannte sie jedoch nicht wieder und murmelte nur Unverständliches. Ursula befreite seine vom Druck der Stricke geschwollenen Hand- und Fußgelenke und ließ ihm nur die um die Gürtellinie geschlungene Fessel. Später bauten sie ein Palmendach, um ihn gegen Sonne und Regen zu schützen.
     

 
     
     
     
     
     
    Aureliano Buendía und Remedios Moscote heirateten an einem Märzsonntag vor dem Altar, den Pater Nicanor Reyna im Besuchszimmer aufstellen ließ. Das war der Höhepunkt von vier Wochen der Aufregung im Haus Moscote, denn die kleine Remedios erreichte die Geschlechtsreife, bevor sie die Gewohnheiten der Kindheit überwunden hatte. Obwohl ihre Mutter sie über die Veränderungen der Jugend belehrt hatte, kam sie eines Februarnachmittags unter Schreckensschreien ins Wohnzimmer, wo ihre Schwestern mit Aureliano plauderten, gerannt und zeigte ihnen ihre von einer schokoladeartigen Paste verklebte Unterhose. Die Hochzeit wurde auf einen Monat später anberaumt. Mehr Zeit, als sie zu lehren, sich allein zu waschen und anzuziehen und die elementarsten Fragen des Haushalts zu begreifen, stand nicht zur Verfügung. Man ließ sie auf heißen Fliesen urinieren, um ihr das Bettnässen abzugewöhnen. Es kostete Mühe, sie von der Unverletzlichkeit des Ehegeheimnisses zu überzeugen, denn Remedios war so überwältigt und so verwundert über die Offenbarung, daß sie darauf brannte, allen Leuten ihre Hochzeitsnacht in allen Einzelheiten zu schildern. Es waren erschöpfende Anstrengungen, doch am anberaumten Tag war das kleine Mädchen ebenso bewandert in den Dingen der Welt wie irgendeine ihrer Schwestern. Don Apolinar Moscote geleitete sie am Arm durch die blumen- und girlandengeschmückte Straße, während die Knallkörper krachten und mehrere Musikkapellen aufspielten, und sie hob grüßend die Hand und dankte lächelnd den ihr aus den Fenstern Glück Wünschenden. Aureliano, ganz in Schwarz und in denselben mit Metallhaken versehenen Lackstiefeln, die er wenige Jahre später vor dem Erschießungskommando tragen sollte, trug tiefe Blässe zur Schau und spürte einen zähen Kloß in der Kehle, als er seine Braut an der Haustür in Empfang

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