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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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half. Melchíades ging auf seine Annäherungsversuche ein und ließ gelegentlich ein paar Worte auf spanisch fallen, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Eines Nachmittags hingegen schien er von plötzlicher Ergriffenheit erleuchtet. Jahre später sollte Arcadio sich vor dem Erschießungskommando der schaudernden Stimme erinnern, mit der Melchíades ihm einige Seiten aus seiner unergründlichen Schrift vorlas, von der er natürlich kein Wort verstand, die aber, vernehmlich vorgetragen, nach psalmodierten Enzykliken klang. Gleich darauf lächelte er zum erstenmal nach langer Zeit und sagte auf spanisch: »Wenn ich sterbe, dann brennt drei Tage lang Quecksilber in meinem Zimmer ab!« Arcadio erzählte es José Arcadio Buendía, und dieser erheischte eine genauere Auskunft, erhielt jedoch nur folgende Antwort: »Ich habe die Unsterblichkeit erreicht.« Als Melchíades' Atem zu stinken begann, nahm Arcadio ihn jeden Donnerstagmorgen zum Flußbad mit. Das schien zu helfen. Er zog sich nackt aus und stieg mit den jungen Leuten ins Wasser, und sein geheimnisvoller Ortssinn befähigte ihn, tiefe und gefährliche Stellen zu meiden. »Wir gehören zum Wasser«, sagte er einmal. So verging viel Zeit, ohne daß ihn jemand im Haus sah außer abends, wenn er rührende Versuche machte, das Pianola zusammenzusetzen, oder den Totumakürbis und sein in ein Handtuch gewickeltes Stück Palmseife unter dem Arm mit Arcadio zum Fluß schritt. Eines Donnerstags, bevor man ihn zum Flußbad rief, hörte Aureliano ihn sagen: »Ich bin in den Sümpfen von Singapur am Fieber gestorben.« An jenem Tag stieg er an einem ungünstigen Zugang in den Fluß und wurde erst am nächsten Morgen mehrere Kilometer stromabwärts gefunden; er war an einer besonnten Krümmung hängengeblieben; ein Aasgeier hockte auf seinem Bauch. Gegen die empörten Einsprüche Ursulas, die ihn schmerzvoller beweinte als ihren eigenen Vater, widersetzte sich José Arcadio Buendía seinem Begräbnis. »Er ist unsterblich«, sagte er. »Er selber hat mir die Formel der Auferstehung verraten.« Er ließ die vergessene Brunnenröhre Wiederaufleben und einen Kessel Quecksilber neben dem Leichnam abbrennen, der sich nach und nach mit bläulichen Bläschen bedeckte. Don Apolinar Moscote wagte darauf hinzuweisen, daß ein unbegrabener Ertrunkener eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstelle. »Nichts dergleichen, er lebt doch!« lautete die Erwiderung José Arcadio Buendías, der die bereits zweiundsiebzig Stunden lang dauernde Quecksilberkur beendete, als die Leiche in aschgraues Blühen auszubrechen begann, dessen leises Zischen das Haus mit Pesthauch durchdrang. Erst jetzt gestattete er die Beerdigung, doch nicht etwa irgendwie, sondern mit den Macondos größtem Wohltäter vorbehaltenen Ehren.
    Es war das erste und meistbetrauerte Begräbnis, welches das Dorf erlebte, und wurde ein Jahrhundert später nur noch von der Karnevalsleichenbestattung der Großen Mama übertroffen. Er wurde in einer in der Mitte des für den Friedhof bestimmten Geländes errichteten Grabstätte beerdigt, und auf dem Grabstein stand das einzige, was von ihm bekannt war: M ELCHÍADES. Er bekam eine neunnächtige Totenwache. Im Gedränge der Menschen, die im Innenhof Kaffee tranken, Witze rissen und Karten spielten, fand Amaranta Gelegenheit, ihre Liebe Pietro Crespi zu beichten, der sich wenige Wochen zuvor mit Rebeca verlobt hatte und gerade ein Geschäft für Musikinstrumente und Aufziehspiele einrichtete, und zwar im gleichen Viertel, in dem die Araber hausten, die in früherer Zeit Papageien gegen Flitterkram eingehandelt hatten, ein Ortsteil, der bei den Dorfbewohnern als Türkenstraße bekannt war. Der Italiener, dessen pomadiger Krauskopf bei den Frauen ein unwiderstehliches Bedürfnis nach Seufzern hervorrief, behandelte Amaranta wie ein launisches Kind, das man nicht ernst zu nehmen braucht.
    »Ich habe einen jüngeren Bruder«, sagte er. »Er wird mir im Laden helfen.«
    Amaranta fühlte sich gedemütigt und bedeutete Pietro Crespi mit sichtlichem Groll, sie sei gewillt, die Hochzeit ihrer Schwester zu verhindern, auch wenn sie ihren eigenen Leichnam über die Türschwelle werfen müsse. Den Italiener beängstigte die leidenschaftliche Drohung dergestalt, daß er der Versuchung nicht widerstand, sie Rebeca zu hinterbringen. So kam denn Amarantas infolge Ursulas Obliegenheiten immer wieder hinausgeschobene Reise in weniger als einer Woche zustande. Amaranta widersetzte sich

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