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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Crespi beim Durchblättern der Postkarten. »Man braucht nur die Hand auszustrecken, und die Vögel kommen und picken daraus.« Bisweilen, angesichts eines Aquarells von Venedig, verwandelte die Sehnsucht den Gestank der nach Schlamm und faulen Seemuscheln riechenden Kanäle in zartes Blumenarom. Amaranta seufzte, lachte, träumte von einem zweiten Vaterland mit schönen Männern und Frauen, die eine Kindersprache sprachen, von uralten Städten, von deren vergangener Größe nur Katzen zwischen Ruinen übriggeblieben waren. Nachdem er auf der Suche nach ihr den Ozean durchschifft, nachdem er die Liebe mit Rebecas heftigen Umarmungen verwechselt hatte, war Pietro Crespi das Geschenk der Liebe zuteil geworden. Das Glück zog den Wohlstand nach. Sein Ladengeschäft nahm schon fast einen Häuserblock ein, es war eine Winterweide der Phantasie mit Abbildungen des Campanile von Florenz, welcher die Uhrzeit mit einem Glockenkonzert einläutete, mit Musiktruhen aus Sorrent und Puderkästchen aus China, die eine fünftönige Melodie spielten, sobald sie geöffnet wurden, mit allen nur erdenklichen Musikinstrumenten und allen nur erträumbaren Aufziehkunstwerken. Bruno Crespi, sein jüngerer Bruder, führte den Laden, weil er kaum noch den Anforderungen seiner Musikschule nachkam. Dank seiner verwandelte sich die Türkenstraße mit seiner atemberaubenden Ausstellung von Nippessachen in einen stillen Winkel, in dem man Arcadios Willkür und den fernen Alptraum des Krieges vergessen konnte. Als Ursula wieder die Sonntagsmesse einführte, schenkte Pietro Crespi ihr für die Kirche ein deutsches Harmonium, rief einen Kinderchor ins Leben und stellte ein gregorianisches Repertoire zusammen, das Pater Nicanors stummem Ritual eine glänzende Note verlieh. Niemand bezweifelte, daß er aus Amaranta eine glückliche Gattin machen würde. Ohne ihre Gefühle zu überfordern und sich ganz dem natürlichen Strom ihres Herzens überlassend, gelangten sie zu einem Punkt, wo sie nur noch den Hochzeitstag festzusetzen brauchten. Widerstände waren nicht zu befürchten. Ursula, die sich innerlich vorwarf, Rebecas Schicksalsweg durch wiederholten Aufschub verändert zu haben, war nicht gewillt, Gewissensbisse anzusammeln. Infolge der Qualen des Krieges, Aurelianos Ferne, Arcadios Grausamkeit sowie José Arcadios und Rebecas Vertreibung war die tiefe Trauer um Remedios' Tod auf den zweiten Platz gerückt. Angesichts der bevorstehenden Hochzeit hatte sogar Pietro Crespi durchblicken lassen, er wolle Aureliano José, für den er eine fast väterliche Zuneigung nährte, als seinen ältesten Sohn ansehen. Alles ließ vermuten, Amaranta sei im Begriff, einem Glück ohne Hemmnisse entgegenzugehen. Doch im Gegensatz zu Rebeca stellte sie keinerlei Ungeduld zur Schau. Ebenso geduldig, wie sie Tischtücher bunt bestickte, Kleinode der Posamentierarbeit wirkte und Pfauen in Kreuzstich zauberte, wartete sie, daß Pietro Crespi dem Drängen seines Herzens nicht mehr widerstehe. Seine Stunde kam mit dem schlimmen Oktoberregen. Pietro Crespi zog den Stickrahmen von ihrem Schoß und preßte ihre Hand mit seinen Händen. »Nun kann ich nicht länger warten«, sagte er. »Wir wollen nächsten Monat heiraten.« Amaranta zitterte nicht bei der Berührung seiner eiskalten Hände. Sie entzog ihm ihre Hand wie ein flüchtendes Tierchen und machte sich wieder an ihre Arbeit. »Sei doch nicht einfältig, Crespi«, sagte sie lächelnd. »Nicht einmal tot heirate ich dich.« Pietro Crespi verlor die Selbstbeherrschung. Er weinte hemmungslos, riß sich fast, aber auch nur fast, seine Finger vor Verzweiflung aus. »Verlier deine Zeit nicht«, war alles, was Amaranta sagte. »Wenn du mich wirklich liebst, so komm nicht mehr in dieses Haus.« Ursula glaubte vor Beschämung wahnsinnig zu werden. Pietro Crespi erschöpfte alle Mittel des Bittens und Flehens. Ja, er ging bis zum Äußersten der Selbsterniedrigung. Er weinte den ganzen Nachmittag in Ursulas Schoß, die ihre Seele verkauft hätte, um ihn zu trösten. In Regennächten sah man ihn mit einem seidenen Regenschirm ums Haus schleichen, um einen Lichtschein in Amarantas Schlafzimmer zu erhaschen. Nie war er sorgfältiger angezogen als zu jener Zeit. Sein erhabenes, gemartertes Kaiserhaupt gewann eine seltene Aura von Größe. Er belästigte Amarantas Freundinnen, die mit ihr in der Veranda stickten, damit sie jene umstimmten. Er vernachlässigte sein Geschäft. Verbrachte den Tag im rückwärtigen Kontor und schrieb

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