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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Im ganzen Land herrschte das Standrecht. Der einzige, der es rechtzeitig erfuhr, war Don Apolinar Moscote, doch dieser gab die Nachricht nicht einmal an seine Frau weiter, während die Abteilung Soldaten einrückte, die das Dorf im Handstreich besetzen sollte. Mit zwei von Mauleseln gezogenen leichten Feldkanonen marschierten sie vor Tagesanbruch lautlos ein und bezogen Quartier in der Schule. Um sechs Uhr abends war Zapfenstreich. Die diesmal befohlene Requisition wurde strenger, von Haus zu Haus vorgenommen, so daß sogar Handwerkszeug beschlagnahmt wurde. Gewaltsam schleppten die Soldaten den Doktor Noguera aus seinem Haus, fesselten ihn an einen Baum des Dorfplatzes und erschossen ihn standrechtlich. Pater Nicanor versuchte die Militärbehörden mit dem Wunder der Levitation zu beeindrucken, worauf ein Soldat ihm mit dem Gewehrkolben über den Kopf schlug. Die liberale Erregung erlosch in stummem Schrecken. Aureliano, bleich, verschlossen, spielte nach wie vor Domino mit seinem Schwiegervater. Er begriff, daß Don Apolinar Moscote trotz seiner augenblicklichen Stellung als Zivil- und Militäroberhaupt des Orts von neuem eine dekorative Autorität geworden war. Die Entscheidungen traf ein Hauptmann des Heeres, der jeden Morgen eine Sonderabgabe für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erhob. Auf seinen Befehl entrissen vier Soldaten eine Frau, die von einem tollwütigen Hund gebissen worden war, ihren Angehörigen und erschlugen sie auf offener Straße mit Gewehrkolbenhieben. Eines Sonntags, zwei Wochen nach der Besetzung, betrat Aureliano das Haus von Gerineldo Márquez und bat wortkarg wie üblich um eine Tasse Kaffee ohne Zucker. Als die beiden allein in der Küche waren, verlieh Aureliano seiner Stimme eine Autorität, die man nie an ihm gekannt hatte. »Bring die Jungens auf den Trab«, sagte er. »Wir ziehen in den Krieg.« Germeldo Márquez traute seinen Ohren nicht.
    »Mit was für Waffen?« fragte er.
    »Mit den ihren«, erwiderte Aureliano.
    Dienstag um Mitternacht nahmen einundzwanzig mit Tischmessern und geschliffenen Eisenbolzen bewaffnete, noch nicht dreißig Jahre alte Männer unter Aureliano Buendías Anführung die Garnison durch einen halsbrecherischen Handstreich, bemächtigten sich der Waffen und erschossen im Innenhof den Hauptmann und die vier Soldaten, die besagte Frau ermordet hatten.
    In derselben Nacht, während die Salven des Erschießungskommandos erschallten, wurde Arcadio zum Zivil- und Militärchef des Platzes ernannt. Die verheirateten Aufrührer hatten kaum Zeit, Abschied zu nehmen von ihren Frauen, die sie ihrem eigenen Schicksal überlassen mußten. Bejubelt von der von der Schreckensherrschaft befreiten Bevölkerung zogen sie im Morgengrauen ab, um sich den Streitkräften des Revolutionsgenerals Victorio Medina anzuschließen, der letzten Nachrichten zufolge in Richtung Manaure marschierte. Vor dem Auszug zerrte Aureliano Don Apolinar Moscote aus einem Wandschrank. »Verhalten Sie sich ruhig, Herr Schwiegervater«, riet er ihm. »Die neue Regierung gewährleistet auf Ehrenwort die Sicherheit Ihrer Person und Ihrer Familie.« Don Apolinar Moscote fand es nicht leicht, den Verschwörer mit hohen Stiefeln und einem über die Schulter geschlungenen Gewehr mit dem Menschen in Einklang zu bringen, der mit ihm bis neun Uhr abends Domino gespielt hatte.
    »Das ist eine Dummheit, Aurelito«, rief er aus.
    »Keineswegs«, antwortete Aureliano. »Das ist Krieg. Und nennen Sie mich nicht mehr Aurelito, denn jetzt bin ich Oberst Aureliano Buendía.«
     

 
     
     
     
     
     
    Der Herr Oberst Aureliano Buendía zettelte zweiunddreißig bewaffnete Aufstände an und verlor sie allesamt. Er hatte von siebzehn verschiedenen Frauen siebzehn Söhne, die einer nach dem anderen in einer einzigen Nacht ausgerottet wurden, bevor der älteste das fünfunddreißigste Lebensjahr erreichte. Er entkam vierzehn Attentaten, dreiundsiebzig Hinterhalten und einem Erschießungskommando. Er überlebte eine Ladung Strychnin in seinem Kaffee, die genügt hätte, ein Pferd zu töten. Er lehnte den Verdienstorden ab, den der Präsident der Republik ihm verleihen wollte. Er wurde sogar Oberbefehlshaber der Revolutionsstreitkräfte, der die Rechtsprechung und Befehlsgewalt von einer Grenze zur anderen innehatte, überdies wurde er der von der Regierung gefürchtetste Mann, ließ jedoch niemals zu, daß er fotografiert wurde. Er lehnte die lebenslängliche Pension, die man ihm nach dem Krieg anbot, ab und

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