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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Nachbarkindern einen Kindergarten ein. Als Oberst Aureliano Buendía unter krachenden Knallfröschen und Glockengeläut zurückkehrte, hieß ihn ein Kinderchor im Haus willkommen. Aureliano José, ebenso eindrucksvoll wie sein Großvater in seiner Revolutionsuniform, erwies ihm militärische Ehren.
    Nicht alle Nachrichten waren gut. Ein Jahr nach der Flucht des Oberst Aureliano Buendía zogen José Arcadio und Rebeca in das von Arcadio gebaute Haus. Niemand erfuhr von seinem Eingreifen, das die Erschießung verhinderte. Das neue Haus, das an der besten Ecke des Platzes im Schatten eines von drei Rotkehlchennestern erkorenen Mandelbaums lag, besaß eine große Eingangstür für die Besucher und vier große Fenster für das Tageslicht, und es wurde ein gastliches Heim. Rebecas alte Freundinnen, unter ihnen vier ledig gebliebene Schwestern Moscote, nahmen die vor Jahren in der Begonienveranda unterbrochenen Sticknachmittage wieder auf. José Arcadio war nach wie vor Nutznießer der erschlichenen Ländereien, deren Besitzurkunden von der konservativen Regierung anerkannt wurden. Jeden Nachmittag sah man ihn zu Pferd mit seinen Jagdhunden und seiner Doppelflinte sowie mit einer am Sattelknauf hängenden Schlinge voll von erlegten Hasen heimkehren. Eines Nachmittags im September kam er wegen eines drohenden Unwetters früher als gewöhnlich nach Hause. Er begrüßte Rebeca im Eßzimmer, legte die Hunde im Innenhof an die Kette, hing die Hasen in der Küche auf, um sie später einzupökeln, und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Rebeca erklärte später, als ihr Mann das Schlafzimmer betrat, habe sie sich im Badezimmer eingeschlossen und nichts gemerkt. Das war eine wenig wahrscheinliche Lesart, doch eine wahrscheinlichere wurde nicht abgegeben, und niemand konnte sich vorstellen, warum Rebeca den Mann ermorden sollte, der sie glücklich gemacht hatte. Das war vielleicht das einzige Geheimnis, das in Macondo nie aufgeklärt wurde. Sobald José Arcadio die Schlafzimmertür geschlossen hatte, dröhnte ein Pistolenschuß durchs Haus. Eine Blutspur drang unter der Türe hervor, durchquerte das Wohnzimmer, rann auf die Straße hinaus, wählte den kürzesten Weg zwischen den ungleichen Gehsteigen, floß kleine Treppen hinab und erklomm Steindämme, fuhr die ganze Türkenstraße entlang, bog rechts um eine erste, dann links um eine zweite Ecke, machte vor dem Haus der Buendías rechtsum, rieselte unter der verschlossenen Tür hindurch, durchglitt den Besuchssalon längs der Wände, um den Teppich nicht zu beflecken, lief durch das anliegende Wohnzimmer, beschrieb einen großen Bogen um den Eßtisch, rückte in der Begonienveranda vor und gelangte ungesehen unter den Stuhl Amarantas, die gerade Aureliano José Rechenunterricht gab, dann drängte sie sich in die Speisekammer und erschien in der Küche, wo Ursula gerade sechsunddreißig Eier für das Brot aufschlug.
    »Ave Maria Purissima!« schrie Ursula.
    Sie verfolgte den Blutfaden in entgegengesetzter Richtung, ging auf der Suche nach seinem Ursprung durch die Kornkammer, eilte durch die Begonienveranda, wo Aureliano José sang, daß drei und drei sechs seien und sechs und drei neun, durchschritt Eßzimmer und beide Wohnzimmer, trat geradewegs auf die Straße hinaus, bog sofort nach rechts, dann nach links bis zur Türkenstraße, ohne daran zu denken, daß sie noch ihre Backschürze und ihre Hausschuhe anhatte, kam auf dem Platz heraus und betrat durch die Tür ein Haus, in dem sie nie gewesen war, machte die Tür zum Schlafzimmer auf, erstickte fast vom Gestank verbrannten Pulvers und fand José Arcadio mit dem Gesicht auf den Stiefeln liegen, die er gerade ausgezogen hatte, und hier sah sie die beginnende Spur des Blutes, das nicht mehr aus seinem rechten Ohr rann. Weder fand man eine Wunde an seinem Körper, noch war die Waffe aufzutreiben. Ebensowenig ließ sich der Leichnam von seinem aufsässigen Pulvergeruch befreien. Zunächst wusch man ihn dreimal mit Seife und Waschlappen, sodann rieb man ihn mit Salz und Weinessig ein, darauf mit Asche und Zitrone, zuletzt legte man ihn in einen Bottich mit Lauge und ließ ihn sechs Stunden ziehen. Anschließend rieb man ihn so lange, bis die tätowierten Arabesken sich entfärbten. Als man auf das verzweifelte Mittel verfiel, ihn einen Tag lang auf kleinem Feuer mit Pfeffer, Kümmel und Lorbeerblättern zu würzen, hatte seine Zersetzung bereits begonnen, so daß man ihn überstürzt beerdigen mußte. Hermetisch sperrte man

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