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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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ihn in einen besonderen, zwei Meter dreißig langen und einen Meter zehn breiten Sarg ein, der innen mit Eisenplatten verstärkt und mit Stahlbolzen verschraubt war; dennoch war in den Straßen, durch die der Leichenzug führte, der Pesthauch zu spüren. Pater Nicanor erteilte ihm mit geschwollener, trommelpraller Leber vom Bett aus den Segen. Wenn man auch in den nachfolgenden Monaten das Grab durch übereinandergelagerte Mauern verdichtete und dazwischen Sägespäne und ungelöschten Kalk schichtete, stank der Friedhof noch nach Jahren nach Pulver, bis die Ingenieure der Bananengesellschaft die Grabstätte mit einer Betondecke verschalten. Sobald man die Leiche holte, verriegelte Rebeca die Türen ihres Hauses und begrub sich lebendig unter einer dicken Schicht der Verachtung, die keine irdische Versuchung je zu durchbrechen vermochte. Einmal, schon sehr alt, ging sie in altsilberfarbenen Schuhen und einem mit winzigen Blumen verzierten Hut aus, zu einer Zeit, als der Ewige Jude ins Dorf kam und eine so große Hitze hervorrief, daß die Vögel die Fliegenfenster durchstießen, um dann in den Schlafzimmern zu sterben. Das letzte Mal, daß sie lebend gesehen wurde, war, als sie einen Dieb, der bei ihr einzubrechen versuchte, mit einem gutgezielten Schuß niederstreckte. Außer Argénida, ihrer Dienerin und Vertrauten, kam seitdem nie wieder ein Mensch mit ihr in Berührung. Einmal erfuhr man, sie schreibe dem Bischof, den sie als Vetter väterlicherseits betrachtete, Briefe, doch ob er antwortete, wurde nie bekannt. Das Volk vergaß sie.
    Trotz seiner triumphalen Rückkehr ließ sich Oberst Aureliano Buendía nicht durch den Schein täuschen. Die Regierungstruppen gaben die Standorte widerstandslos preis, und das löste in der liberalen Bevölkerung Siegestaumel aus, um den man sie nicht bringen durfte, doch die Revolutionäre wußten Bescheid, und keiner besser als Oberst Aureliano Buendía. Wenngleich er in diesem Augenblick mehr als fünftausend Mann befehligte und zwei Küstenstraßen beherrschte, war er sich bewußt, daß er gegen das Meer hin gedrängt war und in einer so wirren politischen Lage steckte, daß, als er den durch Beschuß zerstörten Kirchturm wieder aufbauen ließ, Pater Nicanor in seinem Krankenbett bemerkte: »Was für ein Widersinn! Die Verteidiger des christlichen Glaubens zerstören das Gotteshaus, und die Freimaurer richten es wieder auf!« Auf der Suche nach einem Mauseloch, durch das er entkommen konnte, verbrachte er Stunden um Stunden im Telegrafenbüro, verhandelte drahtlos mit den Befehlshabern anderer Garnisonen und gewann immer mehr den Eindruck, daß der Krieg im Sande verlief. Als Nachrichten von neuen Triumphen der Liberalen eintrafen, wurden sie in frohlockenden Bekanntmachungen verkündet, doch er steckte ihre Reichweite auf der Landkarte ab und begriff, daß ihre Truppen im Urwald vorrückten und dergestalt gegen Malaria und Mücken zu kämpfen hatten, daß ihr Vormarsch in Wahrheit von der Wirklichkeit wegführte. »Wir verlieren unsere Zeit«, klagte er vor seinen Offizieren. »Wir werden unsere Zeit verlieren, während die Scheißkerle der Partei um einen Sitz im Kongreß betteln.« Wenn er in schlaflosen Nächten auf dem Rücken in seiner Hängematte lag, die in der Kammer hing, in der er zum Tode verurteilt worden war, rief er sich die schwarzgekleideten Anwälte vor Augen, die den Präsidentenpalast in der eisigen Kälte des Morgengrauens verließen, die Mantelkragen bis zu den Ohren hochgeschlagen, sich die Hände reibend, flüsternd in die bei Tagesanbruch düsteren Butiken flüchtend, um dort Mutmaßungen anzustellen über das, was der Präsident sagen wollte, als er ja gesagt, und das, was er sagen wollte, als er nein gesagt hatte, um gleichfalls Vermutungen aufzustellen über das, was der Präsident dachte, wenn er etwas völlig anderes dachte, während er selber bei fünfunddreißig Grad im Schatten Mücken verscheuchte und den furchtbaren Tagesanbruch nahen fühlte, da er seinen Männern werde befehlen müssen, sich ins Meer zu stürzen.
    In einer Nacht der Ungewißheit, als Pilar Ternera im Innenhof mit der Truppe sang, bat er, sie möge ihm die Zukunft aus den Karten lesen. »Hüte deine Worte«, war alles, was Pilar Ternera klar herauslas, nachdem sie die Kartenspiele dreimal ausgelegt und wieder eingesammelt hatte. »Ich weiß nicht, was es besagen will, aber das Zeichen ist sehr deutlich: hüte deine Worte.« Zwei Tage später reichte jemand einer Ordonnanz

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