Hundert Jahre Einsamkeit
Carpio. Als Schönste unter den fünftausend Schönsten des Landes erwählt, war sie mit dem Versprechen nach Macondo gebracht worden, zur Königin von Madagaskar erkoren zu werden. Ursula pflegte sie wie eine Tochter. Statt ihre Unschuld anzuzweifeln, empfand das Dorf Mitleid mit ihrer Lauterkeit. Sechs Monate nach dem Gemetzel, als die Verwundeten geheilt und die letzten Blumen auf dem Massengrab verwelkt waren, holte Aureliano Segundo sie aus der fernen Stadt, wo sie mit ihrem Vater lebte, und heiratete sie in Macondo bei einem zwanzig Tage dauernden Hochzeitsfest.
Fast wäre die Ehe nach zwei Monaten auseinandergegangen, da Aureliano Segundo, um Petra Cotes zu entschädigen, sie als Königin von Madagaskar malen ließ. Als Fernanda dies erfuhr, packte die Jungvermählte ihre Koffer und verließ Macondo, ohne sich zu verabschieden. Aureliano Segundo holte sie auf dem Moorweg ein. Nach langem Flehen und dem Gelöbnis, sich zu bessern, gelang es ihm, sie wieder heimzuführen, worauf er die Konkubine fallenließ.
Petra Cotes trug im Bewußtsein ihrer Überlegenheit keine Besorgnis zur Schau. Sie hatte einen Mann aus ihm gemacht. Als reines Kind, den Kopf voller phantastischer Ideen und ohne jede Beziehung zur Wirklichkeit, hatte sie ihn aus Melchíades' Kammer geholt, hatte ihm einen Platz in der Welt gegeben. Ihn, der von Natur verschlossen war, menschenscheu und zu einsamen Grübeleien neigte, hatte sie zu einem wie ausgewechselten, lebensvollen, aufgeschlossenen, mitteilsamen Charakter geformt, hatte ihm Lebensfreude eingeimpft und die Lust zu Ausschweifung und Verschwendung, bis er außen und innen der Mann war, den sie sich seit ihrer Jugend erträumt hatte. Nun hatte er geheiratet, wie Söhne eben früher oder später heiraten. Er hatte nicht gewagt, sie davon in Kenntnis zu setzen. Dabei führte er sich so kindisch auf, daß er falschen Groll und eingebildete Haßgefühle heuchelte, um dadurch Petra Cotes die Schuld an dem Bruch zuzuschieben. Eines Tages, als Aureliano Segundo ihr ungerechte Vorwürfe machte, ließ sie sich nicht übertölpeln, sondern nannte die Dinge beim Namen:
»Du willst nur die Königin heiraten, weiter nichts«, sagte sie.
Beschämt wie er war, täuschte Aureliano Segundo einen Tobsuchtsanfall vor, erklärte sich unverstanden und beleidigt und besuchte sie nie wieder. Ohne einen Augenblick ihre prachtvolle Selbstbeherrschung eines ruhenden Raubtiers zu verlieren, lauschte sie dem Hochzeitskonzert und -feuerwerk, der Ausgelassenheit des Volksfestes, als sei das alles nur ein neuer Dummejungenstreich Aureliano Segundos. Wer sie wegen ihres Geschicks trösten wollte, den beruhigte sie mit einem Lächeln. »Keine Sorge«, sagte sie. »Bei mir spülen Königinnen das Geschirr.« Und einer Nachbarin, die ihr geweihte Kerzen brachte, mit denen sie das Bildnis ihres entschwundenen Geliebten beleuchten sollte, bedeutete sie mit rätselhafter Sicherheit:
»Die einzige Kerze, die ihn zurückbringt, brennt immer.«
Wie sie es vorausgesehen hatte, kehrte Aureliano Segundo gleich nach den Flitterwochen zurück. Er brachte seine alten Kumpane mit, dazu einen fahrenden Fotografen sowie die Robe und den blutverschmierten Hermelinmantel, den Fernanda im Karneval getragen hatte. In der Hitze des Festgelages, das an jenem Nachmittag stattfand, verkleidete er Petra Cotes als Königin, krönte sie zur unumschränkten, lebenslänglichen Herrscherin von Madagaskar und verteilte Abzüge ihres Porträts unter seine Freunde. Und sie beteiligte sich nicht nur an dem Spiel, sondern empfand sogar insgeheim Mitleid mit ihm, wenn sie an seine Angst dachte, die ihn auf diese ungewöhnliche Art der Versöhnung gebracht haben mußte. Um sieben Uhr abends, noch immer im Königinnengewand, empfing sie ihn im Bett. Wenn er auch kaum zwei Monate verheiratet war, merkte sie doch bald, daß die Dinge im Hochzeitsbett nicht gutgingen, und genoß das köstlichste Rachegefühl. Als er aber zwei Tage später nicht zurückzukommen wagte, sondern einen Sendboten schickte, um den Termin der Trennung zu vereinbaren, begriff sie, daß größere Geduld als vorgesehen vonnöten sei, da er bereit schien, sich dem äußeren Anschein zuliebe aufzuopfern. Auch jetzt verlor sie nicht die Nerven. Wieder gab sie mit einer Unterwürfigkeit nach, die den allgemeinen Eindruck bestärkte, sie sei eben ein armes Weib, und das einzige Andenken, das sie von Aureliano Segundo behielt, war ein Paar Lackstiefel, mit
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