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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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denen er seinen eigenen Worten zufolge einst ins Grab gelegt werden wollte. Diese bewahrte sie, in Lumpen gewickelt, in der Tiefe einer Truhe auf und bereitete sich auf ein Warten ohne Verzweiflung vor.
    »Früher oder später muß er kommen«, sagte sie sich, »auch wenn nur, um diese Stiefel anzuziehen.«
    Sie brauchte nicht so lange zu warten, wie sie vermutet hatte. Tatsächlich war Aureliano Segundo sich seit seiner Hochzeitsnacht darüber im klaren, daß er zu Petra Cotes viel früher als nötig zurückkehren würde, um seine Lackstiefel anzuziehen: Fernanda war als Frau für das Leben verloren. Sie war tausend Kilometer vom Meer entfernt geboren und erzogen worden, in einer düsteren Stadt, durch deren gepflasterte Gäßchen die Karossen der Vizekönige in Alptraumnächten ratterten. Zweiunddreißig Glockentürme läuteten um sechs Uhr abends die Totenglocke. In das mit Totengruftfliesen verlegte Herrenhaus drang nie ein Sonnenstrahl. Die Luft war in den Zypressen des Innenhofs gestorben, in den bleichen Tapeten der Schlafzimmer, unter den schwitzenden Arkaden des Nardengartens. Bis zu ihrer Geschlechtsreife hatten Fernanda keine anderen Nachrichten aus der Welt erreicht als die melancholischen Klavierübungen von irgendeinem Bewohner eines Nachbarhauses, der sich jahraus, jahrein keine Mittagsruhe gönnte. Im Schlafzimmer ihrer leidenden Mutter, die grün und vergilbt aussah, im staubigen Licht der Fensterscheiben hörte sie die methodischen, hartnäckigen, verzagten Fingerübungen und dachte, daß, während sie hier Kränze aus Trauerperlen flocht, jene Musik draußen in der Welt erklang. Und ihre Mutter, die im Fünfuhrfieber schwitzte, erzählte ihr vom Glanz der Vergangenheit. Als ganz kleines Kind hatte Fernanda in einer Mondnacht eine weißgekleidete bildschöne Frau den Garten in Richtung Kapelle durchschreiten sehen. Am meisten beunruhigte sie an dieser flüchtigen Vision, daß diese ihr genau wie sie selber vorkam, als habe sie sich selbst zwanzig Jahre im voraus gesehen. »Es ist deine Urgroßmutter, die Königin«, erklärte ihre Mutter zwischen zwei Hustenanfällen. »Sie starb an einem Luftzug, als sie einen Nardenzweig abschneiden wollte.« Viele Jahre später, als sie begann, sich wie ihre Urgroßmutter vorzukommen, bezweifelte Fernanda die Kindheitsvision, doch die Mutter verübelte ihr ihre Ungläubigkeit.
    »Wir sind unerhört reich und mächtig«, sagte sie. »Eines Tages wirst du eine Königin sein.«
    Sie glaubte es, wenngleich sie sich an den langen, mit Leinen und Silber gedeckten Tisch setzten, nur um eine Tasse Wasserschokolade und einen süßen Wecken zu essen. Bis zu ihrem Hochzeitstag träumte sie von einem legendären Königreich, obgleich ihr Vater, Don Fernando, eine Hypothek auf das Haus aufnehmen mußte, um ihr eine Aussteuer zu kaufen. Das war weder Größeneinfalt noch Wahnsinn. So war sie erzogen worden. Seit sie denken konnte, erinnerte sie sich, ihre Notdurft in einem mit dem Familienwappen verzierten goldenen Nachtgeschirr verrichtet zu haben. Mit zwölf Jahren verließ sie zum erstenmal das Haus in einem Pferdewagen, und zwar nur, um das zwei Blocks entfernte Kloster zu besuchen. Ihre Schulkameradinnen wunderten sich, daß sie abseits, auf einem Stuhl mit hoher Rückenlehne sitzen mußte und sich nicht einmal in der Pause unter sie mengen durfte. »Sie ist anders«, erklärten die Nonnen. »Sie wird eine Königin sein.« Ihre Mitschülerinnen glaubten es, weil sie schon damals das schönste, distinguierteste und zurückhaltendste junge Mädchen war, das sie je gesehen hatten.
    Als sie nach acht Jahren lateinische Verse zu machen, Klavichord zu spielen, mit den Kavalieren über Falkenjagd und mit den Erzbischöfen über Apologetik zu sprechen und sich mit ausländischen Herrschern über Staatsgeschäfte und mit dem Papst über die Angelegenheiten Gottes auszulassen verstand, kehrte sie in ihr Elternhaus zurück, um Trauerpalmen zu flechten. Sie fand es geplündert vor. Es waren nur die unentbehrlichen Möbel zurückgeblieben, die Kandelaber und das silberne Tischzeug, denn die Hausgeräte waren eines nach dem anderen verkauft worden, um die Kosten ihrer Erziehung zu decken. Ihre Mutter war dem Fünfuhrfieber erlegen. Ihr Vater, Don Fernando, schwarz gekleidet, mit einem steifen Kragen und einer über die Brust hängenden goldenen Uhrkette, gab ihr jeden Montag eine Silbermünze für den Haushalt und nahm dafür die in der vergangenen Woche fertiggestellten Trauerkränze

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