Hundert Namen: Roman (German Edition)
Illusion und machte klar, dass nichts von alldem echt gewesen war.
Blitzschnell war Mary-Roses Lächeln verschwunden.
»Nein«, sagte sie in die Stille hinein.
Alle schnappten nach Luft.
»Nein?«, wiederholte Sam unsicher und versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu entziffern.
»Nein«, wiederholte Mary-Rose mit Nachdruck, und eine Träne rollte langsam über ihre Wange.
»Ist das jetzt echt?«, fragte Steve wieder. Kitty und er saßen so dicht beieinander, dass die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, sie trotz der Abendkühle warm hielt.
Auch in Ambroses Gesicht spiegelte sich der Schock, und sie griff instinktiv nach Eugenes Hand. Überrascht folgte er ihrem Beispiel und legte schützend den Arm um ihre Schulter.
»Bitte hör auf damit, Sam«, sagte Mary-Rose mit erstickter Stimme, und auf einmal weinte sie richtig.
»Was?«, fragte er, und jetzt war es kein Spiel mehr.
Mary-Rose stand auf und verließ den Biergarten.
Bestürztes Schweigen breitete sich am Tisch aus.
»Pech gehabt, Kumpel«, sagte Archie und klopfte Sam auf den Rücken, was er durchaus aufmunternd meinte.
Sam sah Kitty mit großen Augen an. »Was zum …?«
»Ich rede mit ihr«, sagte Kitty. Zwar widerstrebte es ihr zutiefst, sich von Steve zu entfernen, aber sie wusste, dass es richtig war. Sie fand Mary-Rose im Nebenraum des Pubs, das Gesicht in den Händen verborgen.
»O Gott, was hab ich getan?«, schluchzte sie. »Ich konnte nicht mehr, Kitty, ich konnte mir das einfach nicht mehr anhören. Jedes Mal hoffe ich, dass es echt ist, und weiß dabei doch, es ist nur Theater.«
Kitty nahm sie in den Arm, drückte sie an sich, sagte aber nichts, sondern gab nur beschwichtigende Laute von sich.
»Jetzt hab ich die Katze aus dem Sack gelassen«, schluchzte sie in Kittys Schulter. »Und er weiß Bescheid. Wie kann ich ihm jemals wieder unter die Augen treten?«
»Hey, Mary-Rose, das war der beste Auftritt, den wir je hatten!«, hörten sie da auf einmal Sams Stimme. Kurz darauf trat er ins Zimmer und ließ sich neben ihr auf einen Stuhl sinken. »Hey, was ist denn los? Jetzt kannst du aufhören, Theater zu spielen, du hast alle überzeugt. Auf mich warten schon zwei Bier. Mitleids-Pints. Ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Hübsche Idee übrigens, ich wäre fast drauf reingefallen. Woher hast du die?« Er lachte.
Mary-Rose hob den Kopf von Kittys Schulter und sah ihn verwirrt an.
»Ich glaube, ich lasse euch zwei jetzt lieber mal allein«, sagte Kitty und stand auf.
»Nein, das ist doch nicht nötig«, rief Mary-Rose nervös.
»O doch«, beharrte Kitty und versuchte ihr mit Blicken ein ›Sag es ihm!‹ zu übermitteln.
Als Kitty auf dem Weg nach draußen war, klingelte ihr Handy.
»Tut mir leid, dass ich so spät noch anrufe, aber ich weiß, dass ihr alle noch auf seid, ich hab gerade mit Eva gesprochen.« Es war Gaby, die so laut redete, dass Kitty ihr Telefon leiser stellen musste.
»Hi, Gaby, kein Problem«, antwortete sie dann. »Alles läuft prima.«
»Gut, gut, aber deshalb rufe ich nicht an. Es geht um das Buch, das Sie mir gegeben haben, mein Boss hat es heute gelesen.«
»Das ging aber schnell«, lächelte Kitty, setzte sich und freute sich auf den Augenblick der Rache. »Ich hoffe, ich hab seine Geduld nicht zu sehr auf die Probe gestellt, es war ja nur ein Gefallen für einen Freund.«
»Tja, Ihr Freund wird sich freuen, denn es gibt gute Nachrichten für ihn – mein Boss findet das Buch echt toll. Krimis haben zurzeit Hochkonjunktur, und er möchte so bald wie möglich Kontakt zu Ihrem Freund aufnehmen.«
Kapitel 28
Kitty war so überrumpelt, dass sie kein Wort herausbrachte. Das war nun überhaupt nicht das Ergebnis, das sie sich erhofft hatte. Richies Roman hätte in Bausch und Bogen abgewiesen werden sollen, am besten mit einem bösen Brief, den sie ihm persönlich vorbeibringen konnte. Das hätte ihn bestimmt ebenso tief verletzt, wie er sie verletzt hatte. Aber es lief alles schief. Wie konnte es sein, dass Gabys Chef dieses Buch mochte? Richie würde sein Buch veröffentlichen, und das sollte ihre Rache sein?
Da Kitty ein bisschen Zeit für sich brauchte, um ihr Rache-Debakel zu verdauen, den morgigen Tag zu planen und darüber nachzudenken, was die heutigen Ereignisse für ihren Artikel bedeuteten, zog sie sich in ihr Zimmer zurück. In dem kleinen Raum gab es zwei Betten und ein Waschbecken in der Ecke. Die Toilette am Ende des Flurs teilten sie sich mit den anderen Gästen. Aber statt ihre
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