Hundert Namen: Roman (German Edition)
feststellen, dass der Artikel in der Sonntagszeitung damit belohnt worden war, dass sich eine Spur von Mist über sämtliche Treppenstufen bis zu ihrer Tür zog, auf die mit dem gleichen Material Dreckige Sensations-Hure geschmiert worden war. Nach allem, was sie bisher erlebt hatte, schaffte Kitty es trotzdem immer noch, sich verletzt zu fühlen. Sie spielte mit dem Gedanken, die Tür zu fotografieren und Richie das Bild zusammen mit den Worten »Danke schön« zu schicken, entschied sich dann aber dagegen, weil sie befürchtete, dass es womöglich morgen in der Presse auftauchen würde. Doch so verzweifelt sie auch war, spürte sie auch eine gewisse Dankbarkeit dafür, dass die Attacken bisher weder das Innere ihrer Wohnung noch ihre eigene Person zum Ziel gehabt hatten. Sie raffte ein paar Klamotten zum Wechseln zusammen – genug für eine Woche –, machte auf dem Absatz kehrt und wollte schnell wieder zu Sallys Auto laufen.
Aber Mr Wong, ihr Vermieter, verstellte ihr den Weg.
»Tut mir leid, Mr Wong, ich hab’s echt eilig, könnten Sie bitte …« Sie trat nach rechts, um sich an ihm vorbeizudrängen, sie trat nach links –, aber er blockierte sie. Seufzend gab sie auf. »Ich werde das alles saubermachen lassen, sobald ich kann.«
»Ist nicht genug. Letzte Woche Farbe, Toilettenpapier und Scheiße, gestern Nacht Feuerwerk, heute wieder Scheiße. Nicht gut für mein Geschäft.«
»Ich weiß, ich weiß, aber ich bin sicher, dass bald Schluss damit sein wird. Irgendwann haben die genug.«
Aber er gab sich nicht zufrieden. »Monatsende ich finde neuen Mieter. Sie raus. Sie suchen andere Wohnung …«
»Nein, nein, nein, nein, nein!«, fiel Kitty ihm entsetzt ins Wort und rang die Hände. »Bitte sagen Sie so was nicht! Das ist nur ein Kurzzeitphänomen, ich war immer eine gute Mieterin, oder etwa nicht?«
Er zog die Augenbrauen in die Höhe.
»Ich werde niemanden über PER informieren.«
Sein Gesicht verdunkelte sich. »Sie mir drohen?«
»Nein! Ich hab gesagt, ich werde niemanden über PER informieren. Das heißt, ich sage keinem etwas.«
»Warum Sie dann darüber sprechen? Monatsende Sie draußen«, wiederholte er und stürmte die Treppe hinunter. Während Kitty noch dastand und darüber nachsann, wie viel schlimmer ihr Leben wohl noch werden und wo in aller Welt sie sich nach einer erschwinglichen Wohnung umschauen könnte, erschien Mr Wong auch schon wieder, diesmal mit einem in Plastik verpackten Kleidungsstück auf einem Bügel. »Und Ihr Freund«, sagte er und kam wieder die Treppe herauf. »Er nicht bezahlen für Jackett. Soll heute Morgen abholen und zahlen. Sie jetzt zahlen. Zehn Euro.«
»Nein, nein, er ist nicht mein Freund, und ich bezahle gar nichts für ihn.«
»Er Ihr Freund. Ich sehe Sie kussikussi. Sie zahlen. Zehn Euro. Sie zahlen.«
»Niemals. Das gehört mir nicht. Kommt gar nicht in Frage.«
Er begann sich zurückzuziehen.
»Okay, machen wir einen Deal. Ich zahle für das Jackett, wenn Sie mich weiter in der Wohnung wohnen lassen.«
Mr Wong dachte nach. »Sie zahlen, ich überlege.«
Kitty verbiss sich ein Grinsen. »Gut.« Sie fischte ihr Portemonnaie aus ihrer Tasche und gab ihm das Geld. Er überreichte ihr das Jackett. »Dann darf ich also bleiben?«
»Nein«, blaffte er. »Ich sage, ich überlege, und ich überlege, und Antwort ist nein.« Damit drehte er sich um, rannte endgültig die Treppe hinab und ließ Kitty mit offenem Mund stehen.
Nach der Nacht in Sallys vernünftigem Haus in Rathgar, mit ihren vernünftigen Möbeln, ihrem vernünftigen Ehemann, der ein vernünftiges Auto und einen vernünftigen Job hatte und beim vernünftigen Frühstück mit ihr über seinen vernünftigen Golf-Ausflug am vorhergehenden Wochenende gesprochen hatte, ließ Kitty Sallys vernünftige Kinderfrau mit Sallys achtzehnmonatigem Baby allein und lief mit Sally in die Stadt. Es war erst halb acht Uhr früh, aber schon recht warm, mit einer angenehmen leichten Brise. Obwohl man wirklich keinen Mantel brauchte, hatte Sally einen dicken Pullover an und schleppte einen Regenmantel und den größten Schirm mit sich herum, den Kitty jemals gesehen hatte.
»Hast du vor, den Obdachlosen eine Behausung zur Verfügung zu stellen?«, fragte Kitty, während sie den Schirm beäugte.
»Das ist Douglas’ Golf-Schirm.«
»Aha. Und vermietet ihr ihn auch als Festzelt?«
Sally ignorierte die Frage.
»Ganz schön warm heute.« Kitty zog ihre Jacke aus.
Sally blickte zum strahlend blauen
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