Hundert Namen: Roman (German Edition)
sie großartig aussah, fühlte sich leicht und froh und entspannt auf dem Weg zu ihrer Sonnenliege, wo bereits ein Cocktail auf sie wartete. So lebendig war ihre Phantasie, dass sie sie für ein paar Augenblicke kaum von der Realität unterscheiden konnte.
Kitty Logan hatte sie gefragt, warum sie Schmetterlinge sammelte, was sie daran so faszinierte. Zwar war Ambroses Antwort nicht gelogen, aber sie hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt. Warum liebte sie Schmetterlinge? Weil sie schön waren. Und weil sie selbst nicht schön war.
Es war der gleiche Grund, aus dem sie als Kind das Märchen von der Schönen und dem Biest so geliebt hatte, und obwohl sie schon dreiundzwanzig gewesen war, als der Disney-Film in die Kinos kam, hatte sie ihn sich mehrmals angeschaut. Als dann das Video erschien, kaufte sie es sich sofort, und inzwischen kannte sie jedes Wort, jeden Blick, jede einzelne Geste der Figuren auswendig. Ihr Daddy hatte sich über ihre kindische Begeisterung für den Zeichentrickfilm gewundert und sie völlig missverstanden. Es ging Ambrose nicht um die Liebesgeschichte, auch nicht darum, dass sie sehen wollte, wie ein hässliches Untier wieder hübsch wurde, nein, sie liebte diesen Film, weil sie – genau wie das Biest, das Belle gefangen hielt – wusste, wie es war, Schönheit zu erkennen, davon fasziniert zu sein und sich in ihrer Gegenwart so lebendig zu fühlen, dass man sie einfangen und wegschließen wollte, um sie jeden Tag anschauen und sich daran erfreuen zu können.
»Wer in aller Welt simst dir denn da?«, fragte Sally, als sie von Kildare nach Hause fuhren. Es war das Erste, was sie nach langem Schweigen sagte, und Kitty nahm es als Zeichen, dass ihre Freundin ihr langsam verzieh.
»Warum?«, fragte Kitty stirnrunzelnd.
»Weil du dieses doofe Lächeln im Gesicht hast, seit du mit der Simserei angefangen hast.«
»Simserei? Das Wort gibt’s nicht.«
»Versuch nicht, das Thema zu wechseln.«
»Das war nur Pete«, antwortete Kitty endlich und viel zu beiläufig.
Sally riss die Augen auf. »Pete, Prinz der Düsternis und Chef vom Dienst? Der Pete, den du so hasst?«
»Ich habe nie gesagt, dass ich ihn hasse.«
»Oh. Mein. Gott.«
»Was?«
»Oh-oh. Du weißt genau, was hier passiert«, stichelte Sally.
»Halt den Mund. Es passiert gar nichts. Sei einfach still, ja?«, wehrte sich Kitty und versuchte, Sally den Mund zuzuhalten. Sally kicherte, das Auto geriet ins Schlingern, und Kitty nahm die Hand schnell wieder weg.
»Okay, schön. Ich sag es nicht, aber du weißt, dass du es weißt«, trällerte sie.
»Er will bloß wissen, ob bei mir alles so weit okay ist«, erklärte Kitty, klappte ihr Handy zu und stopfte es in ihre Tasche. Aber sobald es weg war, bereute sie, dass sie nicht nachschauen konnte, ob er auf ihre ziemlich witzige und wohldurchdachte letzte Nachricht schon geantwortet hatte.
Sie schwiegen wieder und fuhren in die langsam hereinbrechende Nacht, den Abglanz des Abendrots weit hinter sich.
»Abendrot, Gutwetterbot«, sagte Kitty.
»Ach, red keinen Quatsch«, entgegnete Sally. »Das ist doch alles Unsinn. Morgen soll es in Strömen regnen.«
Wieder verfielen sie in Schweigen, und Kittys Gedanken wanderten von Pete zu ihrem Artikel. Sie dachte an die Menschen, die sie bisher kennengelernt hatte: Birdie Murphy, Eva Wu, Mary-Rose Godfrey, Archie Hamilton und Ambrose Nolan. Noch immer suchte sie das verbindende Element, wälzte ihre Erzählungen im Kopf hin und her, verglich und analysierte sie, und obwohl sie Ähnlichkeiten entdeckte und obwohl die Berichte für sich genommen wirklich interessant waren, konnte sie keinen gemeinsamen Nenner finden, keine einheitliche Geschichte daraus formen. Sie musste noch einmal neu anfangen, noch einmal genau zuhören – vielleicht war es ja eher hinderlich, dass sie ständig nach einer Verbindung fahndete. Als sie nach ihrer Tasche griff, stichelte Sally prompt, dass sie schon wieder ihr Handy rausholen wollte, aber das hatte Kitty inzwischen schon ganz vergessen. Sie hatte nur ihren Notizblock und ihren Stift im Sinn, und als Sally merkte, dass ihre Freundin hochkonzentriert in anderen Regionen schwebte, gab sie sofort Ruhe.
Kitty dachte an Ambrose, an die gerahmten Schmetterlings-Exponate und an die mit Fotos gepflasterte Schlafzimmerwand.
Name Nummer zwei: Ambrose Nolan.
Titel: Die Flügel des Schönen
Kapitel 18
In dieser Nacht schlief Kitty bei Sally.
Als sie aus Straffan zu Kittys Wohnung zurückkamen, mussten sie
Weitere Kostenlose Bücher