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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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Auf den Ersten der Reihe, Mutara, folgten Kigeri und Mibambwe, dann kamen Yuhi und Cyilima, wieder Kigeri und Mibambwe und zum Schluss erneut ein Yuhi. Damit endete und begann ein neuer Zyklus, in dem jeder Herrscher seine vorherbestimmte Aufgabe zu erfüllen hatte. Die Yuhi waren Könige des Feuers und des Friedens, und es war ihnen verboten, den Nyabarango zu überschreiten. Ihre Regierungszeit bedeutete Stillstand. Von den Kigeri und Mibambwe hingegen wurden Eroberungen erwartet, sie durften sich im Land frei bewegen, und einer ihrer ruhmreichsten Vertreter, Kigeri Nyamuheshera, kam bis an den Eduardsee und eroberte Gisaka zurück. Mutara und Cyilima waren Hirtenkönige, sie durften den Nyabarango zwar überqueren, doch nur ein einziges Mal, die Rückkehr war ihnen verboten.
    Durch die Vorherbestimmung wusste jeder Untertan, ob seine Kinder und Enkel in einer Zeit des Friedens oder der Krieges leben würden, und weil sie nicht nur die Zeit, sondern auch ihre Beziehungen ordnen wollten, errichteten die Könige das System des
Ubuhake
. Ein Langer überließ dabei einem Kurzen ein paar Kühe und verlangte dafür Frondienste, Arbeit auf dem Feld, Sänftentransporte, und jeder im Land außer dem König war Lehnsherr eines Mannes, der weniger besaß, und gleichzeitig Klient eines Mächtigeren als er selbst. Ein Netz aus gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmte das Leben, aber die Maschen waren weit genug, damit ein verarmter Langer durchfallen konnte und so ein Kurzer wurde; ein Kurzer aber, der zu Reichtum kam, seinen Kopf hindurchstrecken konnte und ein Langer wurde.
    Die Belgier, die nach dem Ersten Weltkrieg das Land übernahmen, beließen die alte Ordnung, aber sie entfernten das Netz und zogen an dessen Stelle eine Wand ein. Sie teilten Identitätskarten aus, in denen unabänderlich festgeschrieben wurde, wer ein Langer und wer ein Kurzer zu sein hatte. Wer mehr als zehn Kühe besaß, war ein Langer, weniger bedeutete, dass man zu den Kurzen zählte. Die neuen Herren teilten, und sie herrschten, und die durchlässige Membran wurde versiegelt.
    In Afrika befreiten sich die Völker von den Kolonialisten, und auch die Kurzen begehrten auf. Die Langen, denen die Belgier zwar die Stellung, aber nicht die Macht gelassen hatten, waren zu schwach, um sich gegen die revolutionären Unruhen zu wehren, die bald in jeder Ecke des Landes entflammten.
    War nicht lobenswert, dass sich der Bischof von Kabgayi, ein Schweizer, an die Spitze der Demokratiebewegung setzte, den Kurzen mit einem Hirtenbrief im Februar 1959 Hoffnung gab, in dem er die Gleichheit der Rassen und das göttliche Gesetz predigte, nach dem allen Einwohnern und sozialen Gruppen die gleichen fundamentalen Rechte zustanden? Im selben Jahr starb der letzte König, Kigeri der Fünfte, und die führerlosen Langen waren zu zerstritten, um sich der Revolution entgegenzustellen. Der Bischof feierte die Totenmesse für den letzten König, aber schon bald machten Gerüchte die Runde, er selbst habe Kigeri umbringen lassen, was wohl gelogen war, aber doch Loyalitäten klärte, denen wir Schweizer in den nächsten dreißig Jahren verpflichtet waren. Die Schweizerische Eidgenossenschaft bestellte der jungen Republik einen Berater, und kurz darauf begann die eben gegründete Direktion mit ihrer Arbeit.
    Natürlich: Es gab Exzesse, viele Lange wurden umgebracht, und noch mehr mussten fliehen, aber gehörte das nicht zu den notwendigen Geburtswehen einer Republik? Waren denn die europäischen Staaten nur mit friedlichen Mitteln errichtet worden, und war es nicht verständlich, wenn die Direktion in den vergangenen dreißig Jahren dieses Problem als erledigt betrachtet hatte, wenigstens so lange, bis die Entwicklung einen Punkt erreicht haben würde, an dem man mit der wirklichen Demokratisierung beginnen konnte? Und es hatte sich nicht schlecht angelassen, dreißig Jahre hatte Friede geherrscht, aber dann erhob sich das Ungeheuer wieder, und die verdrängte Geschichte kehrte in Person der vertriebenen Langen zurück, die aus dem ugandischen Exil in ihre alte Heimat drängten; und weil sie die Kurzen niemals freiwillig über die Grenze gelassen hätten, rüsteten sie ihre Söhne mit Gewehren aus.
    Und sie griffen an jenem Tag an, als Agathe und ich in Gisenyi waren. Wir waren nicht alleine im Restaurant, deutsche Entwicklungshelfer von der Partnerschaft Rheinland-Pfalz feierten auf der Veranda einen Geburtstag. Sie trugen Papphütchen und rote Nasen, sangen deftige Lieder, und

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