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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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ich weiß nur, wie der Gin Fizz, den wir bestellten, seine Wirkung tat und sich mit jedem Schluck die Befangenheit löste.
    Leider begann Agathe wieder von Brüssel zu schwärmen, von der Vorfreude auf die Vergnügen, die sie monatelang hatte entbehren müssen, und ich hatte wieder die Frau vom Flughafen vor mir, an nichts interessiert als an möglichst aufregender Freizeitgestaltung. Und sie kokettierte mit ihrer Liederlichkeit. Wenn kein Wunder geschehe, werde sie unweigerlich durch die Prüfungen sausen, und so weiter, kein Wort von Abschiedsschmerz, kein Beiklang von Sentimentalität, ich glaube, sie verschwendete nicht einen Gedanken daran, dass wir uns am nächsten Tag trennen würden.
    Für sie gehörte ich zu Kigali, diesem sterbenslangweiligen Kaff mit den spießigen Beamten und den Legionen von Entwicklungshelfern, die ihre Besorgnis über das Handelsbilanzdefizit, den fallenden Kaffeepreis und das Strukturanpassungsprogramm auf den Gesichtern zur Schau trugen.

Als mich der Alkohol und ihr Gerede schon zermürbt hatten, wurde es am Tisch der Deutschen plötzlich still, und ich sah, dass ein Mann ein Transistorradio gebracht hatte, an dem er nun die Frequenz suchte. Der Drei-Uhr-Gong der BBC ertönte unheilvoll, und sonst hörte man nichts außer dem Knattern eines Motorbootes, das draußen auf dem See seine Runden drehte.
    Ich stand auf und wollte fragen, welche Neuigkeiten es gebe, einer hieß mich zu schweigen, und ein anderer flüsterte, die Rebellen hätten den Grenzposten in Kagitumba überrannt, einen Grenzer erschossen und die anderen in die Flucht getrieben. Die Straße von Ruhengeri nach Kigali ist geschlossen, fügte er hinzu, und ich fragte mich schon, wie ich Agathe das beibringen sollte, und tatsächlich verstand sie zuerst kein Wort, bevor sie dann wie von der Tarantel gestochen aufsprang, ihre Sachen packte und Richtung Hotel Regina davonrannte. Ich musste die Rechnung begleichen, was am Kivu manchmal dauern kann, besonders, wenn man nur einen großen Schein hat und der Kellner bis in die Stadt gehen muss, um ihn zu wechseln. So war das.
    Agathe hatte unser Gepäck schon in den Fond geworfen und sich hinter das Lenkrad gesetzt; sie fuhr los, fuhr wie eine Verrückte über die kurvige Straße nach Ruhengeri. Weiter kamen wir nicht, die Deutschen hatten nicht gelogen. Regierungstruppen hatten Straßensperrren errichtet und ließen keinen passieren. Wir fuhren den Weg zurück, den wir gekommen waren, bis hinter Mukamiira. Dort verließen wir die asphaltierte Straße, nahmen eine Piste, die am Karagosee entlangführte. Pelikane und Reiher zogen vorbei, der Weg wand sich in engen Kurven, und ich hätte die Gelegenheit gerne genutzt, um mir die Stromschnellen anzusehen. Doch Agathe fuhr weiter, immer Richtung Süden. Bald wurde es Nacht, aber wir hatten Glück, der Mond stand in seinem letzten Viertel und tauchte die Gegend in ein opakes Licht. Die Piste wurde schlechter, Agathe steuerte den Wagen zwischen den Schlaglöchern hindurch, und manchmal kamen wir durch eine Siedlung, an einem Verwaltungsgebäude vorbei, und dann verschluckten uns wieder die endlosen Bananenhaine und Teeplantagen. Die unruhige Fahrt und das Holpern zermürbten mich, und irgendwann nickte ich ein, bis ein weiteres Schlagloch meinen Kopf hart an die Scheibe beförderte und ich unsanft erwachte. Wir fuhren weiter, tiefer in die Nacht, durch die Felder, die Äcker, durch die baumlose Landschaft, fuhren Hügel hinauf und Hügel hinab, folgten dem Gitshye und dem Muhembe, ließen Kabaya und Gaseke hinter uns, immer weiter fuhr Agathe, und ich musste sie drei Mal bitten, bevor sie anhielt und ich pinkeln konnte. Sie ließ den Motor laufen, mir war zum Sterben übel, vom Alkohol, den Kurven und den enttäuschten Erwartungen. Und als ich mir ein bisschen die Beine vertreten wollte, hupte sie ungeduldig zum Zeichen der Weiterfahrt.
    Einmal verfuhren wir uns und landeten auf einer Straße, die im Nichts einer Siedlung endete. Die Scheinwerfer enthüllten die Ärmlichkeit der Hütte, ein Tierbau eigentlich, wenig bequemer als eine Dachshöhle, kaum so kunstvoll wie ein Schwalbennest. Noch zwei Mal schlug ich vor, bis zum Tagesanbruch zu warten; das Schweigen, mit dem sie antwortete, ließ keinen Zweifel, dass sie weiterfahren würde, solange noch Benzin im Tank war. Irgendwann erschienen rechts und links der Straße die alten Minen von Katumba, und wir folgten weiter dem Tal des Nyawarongo, einem Seitenast des Kagera. Über mehrere

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