Hundert Tage: Roman (German Edition)
gab es alles in Gisenyi.
Wie sie dazu stand? Ich kann nicht gerade behaupten, dass sie darauf brannte, aber trotzdem sagte sie zu, vielleicht auch nur, weil sie wusste, dass sie mich danach endgültig los sein würde, und was war gegen einen spendierten Ausflug schon einzuwenden? Sie bestand allerdings darauf, uns im Hotel unter falschem Namen einzutragen, was mich kränkte, aber dann sagte ich mir, dass ein Inkognito einer Romanze die notwendige Würze verlieh, und ich hatte bloß noch das Problem, einen passenden Namen auszusuchen. Ich wählte den Namen Mister und Miss Leslie Parker, weil ich vor kurzem in einem Reader’s-Digest-Band, der in Haus Amsar herumstand, von einem Autor gleichen Namens eine Geschichte über den Waschbär Rascal gelesen hatte, dessen Schicksal mich zu Tränen gerührt hatte. Der Mann an der Rezeption im Hotel Regina schaute mich scheel an, schüttelte den Kopf, und ich fürchtete schon, er würde einen Ausweis verlangen, aber er war nur außerstande, diesen fremden Namen zu buchstabieren, und so schrieb ich ihn persönlich auf das Meldeformular, mit zitternden Händen allerdings. Für Agathe schien dies die normalste Sache der Welt zu sein, denn als der Portier Miss Leslie Parker anbot, den Koffer auf das Zimmer zu tragen, nickte sie beiläufig. Ich dachte kurz an Misslands Worte:
Sie haben ein verstecktes Gesicht, das sie keinem zeigen, sie lügen, als würden sie die Wahrheit sagen
, und ich fragte mich, ob das auch für Agathe gelten könnte.
Das Zimmer war ordentlich, aber doch ein wenig beengt, und so gingen wir bald spazieren. Ich versuchte, sie mit meinen Geschichten über unsere Arbeit zu beeindrucken, und weil ich gerade ein Bohnenzuchtprojekt abgeschlossen hatte, erklärte ich ihr alles über diese Hülsenfrucht, über Ackerbohnen, Saubohnen, Puffbohnen, Buschbohnen, Feuerbohnen, Mondbohnen, Perlbohnen, Augenbohnen und Kuhbohnen. Ich verblüffte sie mit der Tatsache, dass Bohnen durchaus empfindliche Gewächse seien, was mich, als ich es zum ersten Mal hörte, erstaunt hatte, weil getrocknete, harte Bohnen einen ziemlich widerstandfähigen Eindruck hinterließen und bei der Verdauung keine Leichtgewichte seien, aber das beweise ja nichts anderes als die bekannte Tatsache, dass man nichts nach dem ersten Eindruck beurteilen sollte. Der Volksmund sei hierzulande übrigens der Meinung, man erkenne jemanden an seinen Bohnen.
Sie entgegnete nur, sie hasse Bohnen, mit denen man sie in der Kindheit gequält habe, täglich, und einer der Vorteile, die Europa zu bieten habe, sei die Absenz von Bohnen auf dem täglichen Speiseplan. Wir waren noch nicht die halbe Strecke bis nach Goma gegangen, und schon hatte ich mich ins Aus manövriert, und ich beeilte mich, ihr zu versichern, dass auch ich mir nicht viel aus Bohnen mache, außer es seien grüne Stangenbohnen, serviert mit Speck und Wurst, aber wenn man eben keinen Speck und keine Wurst habe, so sei die Bohne ein unerlässlicher Eiweißlieferant, dazu gelangten sie in beiden Regenzeiten zur Reife und ermöglichten also zwei Ernten im Jahr. Diese Vorteile könne sie nicht leugnen, auch wenn ihr persönlicher Geschmack etwas anderes wünsche. Ich wagte einen Blick zur Seite, und da wiederholte sie, Bohnen würden sie nicht interessieren, und ich erwog, ihr von den Problemen mit den Avocados zu erzählen, die man pfropfen muss, weil sie sich sonst in der zweiten Generation genetisch aufspalten, aber sie meinte, Avocados würden sie ebenfalls nicht interessieren, die Landwirtschaft als solche sei ihr egal, und ich wies sie darauf hin, dass ihre Heimat von der Landwirtschaft lebe, und es könne doch nicht die Frage sein, ob man sich dafür interessiere oder nicht, schließlich könne man sich die Realitäten nicht aussuchen, und sich nicht für die Landwirtschaft zu interessieren, bedeute doch nichts anderes, als sich nicht für die Heimat zu interessieren. Dann sei es wohl so, antwortete Agathe, sie interessiere sich nicht für ihre Heimat. Und da lachte ich, und sie lachte auch.
Warum hasst du dieses Land, wollte ich wissen, und sie antwortete, ich hasse es doch nicht, nein, ich hasse es nicht. Es interessiert mich einfach nicht. Die Leute interessieren mich nicht, die Politik interessiert mich nicht, die Probleme interessieren mich nicht.
Aber es ist doch hübsch hier, der See, die Promenade, das beinahe mediterrane Klima.
Ja, sagte sie, es ist hübsch, aber es hat mir nichts zu sagen. Wenn ich abreise, wird der Kivu genauso hübsch
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