Hundertundeine Nacht
Celine.
Natürlich bedauerte auch er zutiefst den Tod von Celine, war untröstlich, aber ihr tragisches Schicksal wäre nicht die Schuld der Republik Irak, die Frau Bergkamp als Gast des Landes willkommen geheißen und ihr jede Unterstützung angeboten hätte.
Das entsprach sogar den Tatsachen: Die Einreisegenehmigung für das kurdische Gebiet im Nordirak hatten Celine und Heiner über ihre kurdischen Freunde hier in Berlin bekommen, aber Herr Sommer hatte ihnen über das Ministerium für Kultur und Information in Bagdad auch eine Einreisegenehmigung für Saddams Irak besorgt. Sicherheitshalber, obgleich das Kurdengebiet im Norden seit dem Golfkrieg von 1991 autonom ist.
»Wer weiß schon, was passiert, während Sie unterwegs sind, Frau Bergkamp? Zuletzt haben die Irakis auf einmal wieder das Sagen dort!« hatte Herr Sommer gemeint.
»Hoffentlich nicht! Aber möglich ist alles. Und außerdem, das sind auch Menschen im Irak. Was können die für ihren durchgeknallten Saddam?« hatte Celine zugestimmt und in mir die Befürchtung geweckt, sie könnte ihre Reise weiter ausdehnen als geplant.
Hatte sie das dann tatsächlich durchgezogen? War sie aus irgendeinem Grunde weiter nach Bagdad gefahren? Ich fragte den Herrn Geschäftsträger.
»Sind Sie sicher, daß Frau Bergkamp im Irak war? Meines Wissens wollte sie mit ihrem Hilfstransport nur in die Region nördlich des 36. Breitengrades.«
»Auch die Region nördlich des 36. Breitengrades ist ein integraler Bestandteil der Republik Irak, Herr Dr. Hoffmann. Leider Rebellengebiet, durchsetzt mit Terroristen. Bedauerlicherweise hat sich die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht bereit gefunden, diese Terroristen zu verurteilen, gewährt ihnen sogar Asyl. Trotz ihres angeblichen Kampfes gegen den Terrorismus!«
»Ist das der Grund, weshalb Frau Bergkamp sterben mußte? Die Haltung meiner Regierung in der Kurdenfrage?«
Ich versuchte, den Herrn Geschäftsträger aus der Reserve zu locken, doch er bewahrte diplomatische Contenance.
»Herr Dr. Hoffmann, Sie wissen, wie Frau Bergkamp ums Leben gekommen ist. Tatsächlich hat sie ihr Gastrecht aufs gröblichste mißachtet, hat das ihr entgegengebrachte Vertrauen mißbraucht.«
»Genau das glaube ich nicht. Das hätte Frau Bergkamp nie getan.«
Selbst wenn Celine, aus welchem Grund auch immer, nach Bagdad weitergefahren war – warum hätte sie dort eine Bombe werfen sollen? Niemals!
»Leider hat Frau Bergkamp nicht nur humanitäre Güter in ein Gebiet transportiert, das, wie gesagt, von Terroristen durchsetzt ist, sondern bedauerlicherweise auch mit diesen Terroristen zusammengearbeitet. Das hat sie selbst zugegeben.«
Kompletter Blödsinn, ich kannte Celines Haltung. Aber einen Moment!
»Hat sie selbst zugegeben? Wann soll denn das gewesen sein? Ich denke, sie war auf der Stelle tot, von dieser Bombe zerfetzt?«
Irritiert musterte mich der Herr Geschäftsträger.
»Sie mißverstehen, Herr Doktor. Durch ihre Tat zugegeben natürlich. Viel deutlicher kann man seinen Sympathien wohl kaum Ausdruck verleihen.«
Ich kam nicht weiter. Trotz des vorzüglichen Deutsch meines Gegenübers würde ich nichts erfahren. Wahrscheinlich wußte man auch hier nichts über die mir längst bekannten offiziellen Verlautbarungen hinaus.
Ich erhob mich.
»Wenn Sie mir sonst nichts zu sagen haben, Herr Botschafter, möchte ich Ihre wertvolle Zeit nicht weiter beanspruchen.« Der Herr stellvertretende Botschafter erhob sich ebenfalls, gab erneut seiner Anteilnahme Ausdruck und drückte mir zum Abschied einen ganzen Stapel von Broschüren über den Irak in die Hand: der Irak als Reiseland, der Irak als Freund aller friedliebenden Menschen, der Irak als Opfer der verbrecherischen amerikanischen Politik. Wurde er danach bezahlt, wie viele von diesen Heftchen er unter die Leute brachte?
»Meine Heimat ist ein sehr schönes Land. Und ein gastfreundliches Land, Dr. Hoffmann. Vielleicht dürfen wir Sie trotz des traurigen Schicksals Ihrer Freundin dort einmal begrüßen.«
Ich konnte mir keine Konstellation vorstellen, unter der ich in diesem Leben seine Behauptung vom schönen und gastfreundlichen Irak überprüfen würde.
Mein Wagen stand eine Ecke weiter, vor einer neugotischen Kirche in rotem Backstein. Mir war nie aufgefallen, daß sie Herz-Jesu-Kirche hieß, also wohl eine katholische Kirche war, erstmals jetzt, als die Tür aufging und zwei ältere Frauen herauskamen.
Einem plötzlichen Impuls folgend, betrat
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