Hundertundeine Nacht
ganz traurig wegen der Celine. Sie war ein guter Mensch, immer sehr gut zu uns.«
Hinter ihm kam eine kleine Gruppe näher auf mich zu und unterstrich mit stummem Nicken seine Worte. In Gesellschaft dieser Leute mit über Jahre gepflegtem und ausgebessertem Sonntagsstaat fühlte ich mich gleich besser. Keine Ahnung, warum ich verbittert reagierte auf die Deutschen von ProAsyl, nicht aber auf diese Menschen hier, deren Landsleuten Celines Hilfsaktion gedient hatte.
»Danke, Baran.«
In meiner Jackettasche kramte ich nach dem Zweitschlüssel zum Keller im Klinikaltbau. Celine und Heiner hatten nicht alle eingesammelten Spenden auf ihre Karawane mitnehmen können, außerdem kamen ständig weitere Sachen dazu. Baran wollte sich um einen neuen Transport kümmern und sollte sich einen Überblick verschaffen. Ich gab ihm den Schlüssel und sah ihn fragend an.
»Haben Sie schon etwas aus der Heimat gehört?«
Baran schüttelte den Kopf.
»Noch nicht, wir haben noch keine Informationen, was wirklich passiert ist. Aber unsere Leute hören weiter. Wir sind ganz sicher, daß, was Regierung in Bagdad sagt, nicht stimmt.« Er deutete auf eine Gruppe jüngerer Männer im Hintergrund. »Die da wissen wahrscheinlich!«
Erst jetzt fiel mir auf, daß sich diese Männer von den Kurden unterschieden, für die ich sie ursprünglich gehalten hatte. Ihre Anzüge entsprachen in Stil und Sitz eher denen von Celines Freunden.
»Geheimdienst von Saddam Hussein«, gab mir Baran zu verstehen.
Einen Moment war ich versucht, mich auf diese gutgekleideten Schlägertypen zu stürzen, die Wahrheit aus ihnen herauszuprügeln. Aber ich hätte mich nur lächerlich gemacht, keine Chance gehabt. Und außerdem glaubte ich im Gegensatz zu Baran nicht, daß man diese irakischen Außendienstmitarbeiter über Celines wirkliches Schicksal informiert hatte. Wahrscheinlich gingen sie nur ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Kurden bespitzeln.
Irgendwann hatte der Trauerredner seinen Vorrat an philosophischen Kochrezepten aufgebraucht, waren alle Hände geschüttelt, alle »Ich kann es noch gar nicht fassen« gesagt, und Beate fuhr mich nach Hause. Die Eltern hatten nach der Beerdigung ein Essen organisiert, wir uns mit ein paar höflichen Worten entschuldigt. Dem Redner, der sich seinen Lebensunterhalt über diesen Friedhofsjob hinaus wahrscheinlich noch mit launigen Geburtstagsgedichten oder Lobreden auf Betriebsjubiläen verdiente, würde es auch ohne uns schmecken, für ihn war der regelmäßige Leichenschmaus sicher integraler Bestandteil seiner Wochenplanung.
Beate parkte vor meinem Hauseingang.
»Ich bin ziemlich enttäuscht.«
»Enttäuscht? Warum?« fragte Beate.
»Ich glaube, ich trauere gar nicht richtig.«
Beate wendete mir ihr Gesicht zu. Mit ihren blauen Augen und den langen blonden Haaren, für den Friedhof hochgesteckt wie sonst in der Klinik, entsprach sie ziemlich dem gängigen Schönheitsideal. Alles an ihr war etwas weicher, etwas runder als an Celine. Sie strich sich eine Strähne hinter das Ohr, die sofort wieder vorfiel.
»Und wie geht richtiges Trauern deiner Meinung nach?«
»Keine Ahnung. Weinkrämpfe? Plötzliche schwarze Löcher, die jeden anderen Gedanken in sich aufsaugen? Ich fühle mich verlassen, enttäuscht und wütend. Aber ich mache weiter gewissenhaft meine Arzt-Arbeit, schneide mich nicht beim Rasieren, lebe einfach so weiter, funktioniere.«
»Findest du? Trägst du auch sonst deine Krawatte falsch herum?«
Sie verabschiedete sich mit einem Kuß auf die Wange.
»Kommst du zurecht?«
Ich nickte. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß wir Hand in Hand nebeneinander gesessen hatten. Hatte Beate nach meiner Hand gegriffen oder ich nach ihrer?
Kapitel 6
»Guten Morgen. Sie müssen Dr. Hoffmann sein!«
An meinem Schreibtisch in der Klinik erhob sich ein unverschämt gut aussehender Araber um die dreißig und streckte mir seine Hand entgegen.
»Und wer sind Sie?«
»Dr. Hassan, Abdul Hassan. Sie wissen Bescheid?«
Ich ignorierte seine Hand und setzte mich hinter meinen Schreibtisch, Position Platzhirsch. Vor mir lagen deutlich mehr Patientenakten, als ich vorgestern dort zurückgelassen hatte.
»Nein. Ich weiß nicht Bescheid. Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind und mit welchem Recht Sie in unseren Patientenunterlagen herumschnüffeln.«
Die Selbstsicherheit von Dr. Hassan schien nicht erschüttert.
»Das tut mir leid, dann hat man Sie nicht informiert.«
Es klang nicht, als
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