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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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ich die Kirche, sofort umfangen von dieser wunderbaren Stille, dieser feierlichen Gelassenheit. Vor einem Seitenaltar brannten zwei Kerzen, wahrscheinlich gerade entzündet von den beiden Frauen. Ich bin evangelisch und nicht einmal sicher, ob Celine noch Kirchensteuer bezahlt hat. Trotzdem warf ich zwei Euro in die schmiedeeiserne Kasse und steckte eine dritte Kerze an. Wenn es einen Gott gab, sollte er Celine gnädig aufnehmen.

    Und wenn ich hier bei dem falschen war, Gott zum Beispiel, Buddhist ist, so hoffte ich auf seine Großzügigkeit gegenüber der Begrenztheit menschlicher Einsichten. Wenigstens aber sollte er diesen Fehler mir ankreiden und nicht Celine.

Kapitel 5

    Celines Beerdigung hatten ihre Eltern organisiert, Hilfe von Beate oder mir abgelehnt.

    Ihre Tochter wurde auf dem Waldfriedhof Zehlendorf bestattet, in geweihter Erde. Im wesentlichen, weil es die Deutsche Bestattungsverordnung so vorschreibt. Trotz Reihenhaus und bürgerlicher Vorbehalte gegenüber dem Verhältnis ihrer Tochter zu Dr. Hoffmann waren sie seit 1968 nicht ohne ideologische Grundsätze durch die Institutionen marschiert. Deshalb erinnerte an Stelle eines Pfarrers oder Priesters ein professioneller Trauerredner an die nach seiner Überzeugung »viel zu früh von uns Gegangene«.

    Auch sonst war der Unterschied zu konfessionellem Beistand nicht groß, bei diesem Trauerredner hier gab es ebenfalls irgendeine Art von Weiterleben nach dem Tode, allerdings, das gefiel mir besonders gut, keine Hölle. Aus seiner Mischung von Christentum, Hermann Hesse und Naturreligion meinte ich herauszuhören, daß auch die Möglichkeit einer Wiedergeburt allemal drin wäre. Unklar blieb jedoch, ob als Schmetterling, Orchidee oder Versuchstier in der Pharmaforschung.

    Die Trauergäste um Celines Eltern schienen die Ungereimtheiten dieser selbstgestrickten Welt- und Ewigkeitssicht nicht zu stören. Sie waren nicht nur an ihrem Alter, das sie zum vorgezogenen Ruhestand berechtigte, als Freunde der Eltern erkennbar. Auch ihre Kleidung, zu weite Jeans bei den Männern und großblumige Kartoffelsäcke unter unförmigen Mänteln bei den Frauen, unterschied sie vom Rest der Gemeinde. Sicher handelte es sich um Mitglieder der Wohngemeinschaft, in der Celine aufgewachsen war, um Leute aus der damaligen KiTa-Gruppe und der Eltern-gegen-den-Atomtod-Initiative. Viel fehlte nicht, und sie hätten sich bei den Händen gefaßt und eine Prozession veranstaltet. Spätestens an dieser Stelle hätte sich Celine totgelacht.

    Aber Celine war bereits tot, und wir standen hier als der letzte Beweis dieser Tatsache.

    Schräg links von mir Celines Freundinnen und Freunde, meist in gut sitzenden Anzügen und Kostümen, deutlich eine neue Generation. Einige von ihnen kannte ich gut, andere nur flüchtig, viele gar nicht. Es hatte mir immer gefallen, daß Celine ihren eigenen Freundeskreis behalten, nicht einfach ihr Leben in meinem hatte aufgehen lassen.

    Die Benachrichtigung dieser Freunde hatte Beate besorgt. Kollegen aus der Schule, Studienfreunde, Mitstreiter von ProAsyl. Insbesondere von denen hielt ich mich fern, machte ich sie doch, bewußt ungerecht, mitverantwortlich an Celines Schicksal.

    Ich gehörte weder zu der Gruppe von Celines Freunden und Kollegen, von denen mich unter anderem fünfzehn Jahre trennten, noch zu den Leuten um die Eltern mit etwa gleich großem Altersabstand in entgegengesetzter Richtung. Das ewige Trauma: zu keiner Gruppe wirklich gehörig, zu jung oder zu alt, zu früh oder zu spät. Glück bedeutet, im richtigen Alter zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und die Glücklicheren unter uns sind die, die es mit Zeit, Ort und Alter nicht so genau nehmen.

    Trauerfeiern werden unter anderem veranstaltet, um dem einzelnen die Last zu erleichtern, ihn des Mitgefühls der Gemeinschaft zu versichern. Ich fühlte mich hier allerdings erst recht einsam und allein mit meiner Trauer.

    »Dr. Hoffmann!«

    Ein Mann, schwer bestimmbaren Alters, streckte mir seine Hand entgegen. Grauer Stoppelbart, Mittelmeer-Physiognomie. Es war Baran, Exilkurde aus dem Nordirak, der Celine damals maßgeblich bei der Zusammenstellung ihrer Hilfslieferung, der Ausarbeitung ihrer Route durch Osteuropa und beim Kontakt mit den Empfängern im irakischen Kurdistan geholfen hatte. Seine Gruppe – soweit ich wußte, nur eine von verschiedensten Vereinigungen der Exilkurden – nannte sich »National Union of Kurdistan«, oder so ähnlich.

    »Wir Kurden sind ganz,

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