Hundestaffel
kampfbereit, ein Degenduell auf einer Lichtung, ein High-Noon-Showdown, zackige Schnittfolgen, eine glitzernde Lackpolitur für den Boliden, in dem ich durch den Tag pfiff, perlende Wassertropfen, Fettaugen in der Großstadtsuppe, Leos blutig tropfende Nase, das Ächzen des Mannes auf dem Asphalt, die Gleichgültigkeit des Helden und der verschlagene Gesichtsausdruck seines Gegners. Draußen der Regen, Rauschen im Äther, Orangensaft, Werbung für ein Leben, Werbung für die Fortsetzung. Eine Wiederholung. Eine Wiederholung.
Revolution
909.
Ich zielte mit der Fernbedienung auf einen Kopf am Schirm, drückte ab und das Bild explodierte. Grobkörnige Pixel wehten in den Raum wie aufgewirbelter Sand. Ich wünschte mir, dort drin in diesem Bildschirm gäbe es eine Welt, in der ich verschwinden könnte. Doch ich sah nur Bilder und Oberflächen. Ich war ein Stein in einem Sturm. Ich saß hier Zeit ab, der Sand rieselte über mich. Ich verstopfte das Stundenglas. Was auf dem Bildschirm passierte, berührte mich nicht.
Ich dachte an den schlaffen Körper, der an mir hinabgerutscht und auf der Straße aufgeschlagen war. Mich fröstelte beim Gedanken daran. Ich hätte mich am liebsten vor dem Gedanken versteckt. Ich sehnte mich nach einem Zufluchtsort. Ich sehnte mich nach einem ursprünglichen Zustand, nach einer Erinnerung, die weiß war und offen. Ich wünschte mir einen Ort, an dem die Zukunft ohne Vergangenheit existierte. Nur die Zukunft, nichts anderes als die Zukunft. Eine Welt wie eine offene Tür. Eine Welt außerhalb der Erinnerung. Eine Welt ohne das Bild eines ächzenden Mannes auf dem Asphalt.
An diesem Nachmittag wünschte ich mir, im Fernsehen einen solchen Ort zu finden. Ich wünschte mir einen Ort, mit dem ich mich verbunden fühlen konnte und wollte. Das Gefühl einer gemeinsamen Erfahrung, den Klang einer großen Stimme, die von allen gehört wurde und in allen widerklang. Doch der Graben hatte sich unmerklich ausgeweitet, die Ränder waren ausgefranst. Die Bilder auf dem Schirm hatten keine Kraft mehr. Sie waren nichts als ein Zusatz zur Wirklichkeit, die ihrerseits nur ein Zusatz zum Bild war. Es gab keine Verbindung mehr, keinen Zusammenhalt. Alles lag da in Trümmern.
Ich erinnere mich an eine Zeit, als auf den Bildschirmen etwas Anziehendes war, als aus jedem Lautsprecher ein lockender Finger kam, der uns einfing. Schallwellen stießen an, lösten mich aus wie eine endlos tickende Bombe, vibrierend. Wellenförmig wortlose Botschaften, in denen die Bedeutung überkochte. Es gab die Überraschungen vom Sendemasten, die plötzlich in die Realität hineingriffen und alles umstürzten. Die Lautsprecher, die Bildschirme, sie hatten eine Stimme, einen Touch, eine Berührung, eine Masse, mit der man kollidieren konnte. Man fickte mit der mächtigen Stimme im Äther. Sie rollte über uns hinweg und nahm uns mit. Es fühlte sich gut an.
Es gab Revolutionen, die nicht durch Handlung oder bewusste Entscheidung ausgelöst wurden, sondern nur durch eine Übertragung von Tönen. Ich erinnere mich an einen Abend neben meinen Eltern. Jemand schaltete das Radio ein, und plötzlich schallte aus den Boxen ein Lied. Ich verstand nicht einmal, was gesungen wurde, doch in zwei Takten hatte das Radio eine Welt einstürzen lassen. In dieser Stimme lag etwas, das keine Worte brauchte, um greifbar zu werden. Ich bemerkte, wie meine Eltern und ich bemüht waren, uns nicht anzusehen. In dieser Stimme lag etwas, eine Grundstimmung, die die Luft des Wohnzimmers anreicherte mit Entfremdung. Diese Stimme riss einen Graben auf, der nicht mehr zu schließen war, in dieser Stimme lag das Gefühl dafür, dass jedes Ohr anders hörte, dass niemand dasselbe hörte wie ich. Niemand hörte so wie ich. Ich fühlte zum ersten Mal eine Distanz zwischen meinen Eltern und mir, einen Graben, unsichtbar zwischen uns, eine undefinierte verbotene Zone, die als tödlicher Sumpf zwischen uns lag. In diesem Zwischenraum spaltete sich die Welt in unsere Wahrnehmungen auf. Wir waren voneinander abgeschottet durch unseren unterschiedlichen Blick auf die Welt. Wir konnten nicht mehr von denselben Dingen reden, weil wir nicht dasselbe hörten. Wenn wir versuchten, das Gebiet, das uns trennte, zu betreten, sanken wir ein in den Morast unserer Stimmen. Das war die Kraft eines einzigen Liedes. Das war es gewesen, was früher einmal in den Funkfrequenzen mitschwang, was auf den Fernsehern flimmerte: Auf den Schirmen war die Unendlichkeit.
Doch irgendwo
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