Hundestaffel
in die Nacht gehalten und zog den Frauenkörper wie einen Schweif hinter sich her. Es sei ja wirklich nett gewesen, hörte ich sie sagen; ehrlich, wirklich: nett. Ich sah Hannes’ Kopf, der sich über den Beifahrersitz beugte. Sie sagte, er solle sie doch wieder einmal anrufen. Oder besser, sie würde ihn anrufen.
Die Autotür flog zu, der Wagen fuhr davon. Nett war es gewesen? Das musste Hannes getroffen haben. Ich stellte mir vor, wie er fluchend das GPS bediente. Wie er Runden durch die Stadt drehte und dabei wütend mit der Faust auf das Lenkrad einschlug. Es hatte wieder nicht funktioniert. Wir alle würden an diesem Abend alleine einschlafen.
Und irgendwie, Hannes, stellte sich in diesem Moment ein klein wenig Schadenfreude bei mir ein. Irgendwie gönnte ich dir deinen Misserfolg. Ein seltsamer Zufall, dass ich dich ein zweites Mal heimlich beobachtete, nicht wahr, Hannes? Es muss noch frustrierender gewesen sein als die Ohrfeige – eine weitere Frau, die du wolltest, aber nicht bekommen hast. Wieder ein Tier, das dem Jäger entkam. Wie konnte das nur passieren? Was funktionierte nicht mehr zwischen dir und den Frauen? Was war da bloß verloren gegangen? Don Juan mit Ladehemmung? Hatte dich deine göttliche Gabe verlassen? Wo waren die alten Zeiten, da du alle Register gezogen und in allen möglichen Städten deine Eroberungen gemacht hast – dutzende, hunderte? War das nun alles einfach dahin?
Wie hast du das empfunden? Als Kränkung? Als Verlust? Als Kastration? Wo waren die alten Zeiten, als du ganze Städte in Ekstase versetzen konntest, du Gott des Rauschs, Dionysos? Ich weiß, ich übertreibe, Hannes. Aber gib zu, manchmal träumtest du von einem solchen Bild: Du ziehst ein in die Stadt, hinter dir eine Traube von Frauen, nur zu deiner Verfügung, die tanzten, sangen, spärlich bekleidet und betrunken von dir.
Ich trat aus meinem Versteck und sah dem Wagen einige Sekunden lang nach, hörte aus der Ferne das Quietschen der Reifen, als er um eine Ecke bog und verschwand. Erst dann drehte ich mich nach Hannes’ Begleitung um. Sie stakste davon. Torkelte sie? War sie berauscht von dir, Hannes? Ich habe nicht genau darauf geachtet. Heute frage ich mich, ob ich Anzeichen des Pulvers bei ihr hätte bemerken können. Ich hätte genauer hingesehen, wäre mir klar gewesen, was du im Kopf hattest, Hannes. So entgingen mir wieder alle wichtigen Details, die mir heute fehlen. Meine Erinnerung an das Mädchen blendet einfach über ins Ungewisse. Sie bewegt sich in einen Tunnel hinein, sie geht immer weiter, irgendwann greift das Grau nach ihr, bevor das Schwarz sie endgültig einschließt. Wohin sie auch gegangen sein mag, was immer danach passiert sein könnte, es liegt gut versteckt im Dunkel.
Erst heute messe ich der Szene Bedeutung bei. Doch damals beschäftigte ich mich nur mehr mit meinen wirren Empfindungen. Ich hatte ein wenig Genugtuung erhalten. Und doch trabte ich mit dem unbestimmten Gefühl davon, dass gerade alles nur noch weiter aus dem Gleichgewicht geraten war. Ich wand mich in den Fäden der Vorgänge, zappelte im Netz und verfing mich dabei immer mehr. Vergeblich wollte ich mich lösen. Alles hing in der Schräge, und ich fand nicht zurück in die Waagrechte. Ich lief plan- und ziellos durch die Stadt, bis ich schließlich feststellte, dass ich wieder zu Hause angekommen war.
Als ich mein Zimmer betrat, schien es mir das Zimmer eines Fremden zu sein. Ich legte mich angezogen ins Bett, als könnte der wahre Besitzer jederzeit zurückkommen. Fast wünschte ich mir, dass es so wäre. Doch niemand kam. Ich blieb also dort, wo ich war. Nichts änderte sich. Alles blieb gleich, ich blieb gefangen im falschen Film, während rundum Körper auf dem Asphalt aufschlugen und Mädchen nach Hause torkelten, ohne dass ich die Zusammenhänge im Hintergrund verstand.
Vielleicht hätte ich an diesem Abend mehr über deine Wut nachdenken sollen, Hannes. Vielleicht hätte ich gerade in diesem Moment verstehen sollen, was dich in diesen Tagen auffraß. Ich wäre besser vorbereitet gewesen. Und vielleicht hätte ich gegensteuern können und den Lauf der Dinge verändern. Denn schon am folgenden Tag sollte ich deine Wut erleben, doch wieder würde ich sie nicht vollends verstehen. Und dann würde es noch einen weiteren Tag dauern, bis ich erkannte, dass das Mädchen gerade noch rechtzeitig aus deinem Auto gestiegen war.
Den Traum dieser Nacht kann ich nur schwer in das Gesamtbild einordnen: Ich liege in der
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