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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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Steppe, hinter mir breitet sich die Tundra aus. Packeis schließt den Horizont ein, der Himmel ist weiß. Ein schwarzes Band läuft durch die Wüste, die Schienen der Bahnstrecke beschreiben eine Kurve, ziehen eine Linie durch das Weiß. Eiskristalle flirren auf den Schienen, Risse greifen nach dem Metall. Ich liege in der Kurve, eingegraben bis zum Hals, die Kälte hat meine Glieder zerfressen, mein Gesicht färbt sich blau. Reif bildet sich auf meinen Wangen. Am Horizont steigt der Rauch einer Dampflok in die Höhe, die Kälte verzieht mir das Gesicht. Die Lok nähert sich und hält in der Kurve. Der Lokführer steigt aus, stapft auf mich zu, die Waggons sind leer, der Wind schneidet die Wagen, das Eis bringt die Scheiben zum Bersten, der Schnee klirrt in den Scherben.
    Plötzlich beginnt sich alles um mich zu drehen. Wie auf einer riesigen Drehbühne rotiert um mich der Horizont, das ganze Land ist in Bewegung, die Dampflok, die Schienen, der Rauch aus dem Schornstein und der Lokführer. Sie beschreiben einen Halbkreis und kommen schließlich hinter mir knirschend wieder zum Stehen. Ich höre die Schritte des Lokführers hinter meinem Kopf verstummen. Ich sehe nur seinen Schatten in der Tundra. Ich will den Kopf drehen, doch ich schaffe es nicht. Mein Hals ist starr vor Kälte. Das Eis frisst mich auf. Die Eiskristalle lassen meine Haut aufplatzen. Schmerzhafter ist nur noch die Panik. Ich bin gelähmt, ich will mich losreißen, kann aber nicht handeln. Meine Gedanken verpuffen in einem reglosen Körper.
    Der Lokomotivführer pisst mir auf den Kopf. Ich bin so erfroren, dass ich nichts mehr spüre. Ich sehe nur, wie rund um meinen Kopf der Dampf aufsteigt. Irgendwann ist dann alles weiß.
    Alles verschwimmt im Dunst.

Freitag
    Hannes läutete am nächsten Tag an meiner Tür. Wir würden einen Ausflug machen, sagte er. Noch auf der Türschwelle drehte er um und kehrte zu seinem Wagen zurück, in dem die Hunde majestätisch thronend auf seine Rückkehr warteten. Ich holte meine Jacke, folgte ihm und stieg ebenfalls ein. Hinter meinem Nacken hechelten die Rottweiler beunruhigend. Die Halsbänder rasselten, von den Kettengliedern hingen Anhänger mit ihren Namen, ohne die ich die Hunde nie auseinanderhalten konnte. Martialisch klangen die Namen: Garm und Anubis war in die Plaketten eingraviert. (Hannes, Hannes, auch hier dein protziger Hang zum Göttlichen!) Die beiden Hunde glichen sich wie eineiige Zwillinge – dieselbe dumpfe Schnauze, dasselbe ölig glänzende Fell, die aggressive, enge Stirn, die den Hunden ständig aufs Hirn drückte, die ernste Augenpartie, die gedankenlosen Gehorsam verriet. Ich warf einen abschätzenden Blick nach hinten, Geifer troff von den roten Zungen. Wie nasse Lappen hingen sie eigenartig gedehnt über ihren Zähnen. Ich wollte ihnen nicht den Rücken zuwenden. Ich hatte das Gefühl, mich ihnen allein durch meine Körperhaltung zu ergeben.
    Eine drückende Schwüle herrschte im Fahrzeug. Hannes erklärte, wir führen aufs Land. Ich zog eine Zigarette aus der Tasche, während Hannes schaltete und den Motor aufheulen ließ. Ich stemmte die Füße gegen die Bodenplatte. Auch wenn Hannes sich alle Mühe gab, wie ein erfahrener Autofahrer zu wirken: Ich wusste, dass er es nicht war. Seine Prüfung hatte er erst vor Kurzem abgelegt, wobei er den Schein schließlich nur unter undurchsichtigen Umständen bekommen hatte. Jemand hatte sogar behauptet, Hannes’ Vater hätte eingegriffen, was mich nicht im Geringsten überrascht hätte. Wahrscheinlich hatte ihn die Nachsicht des Fahrprüfers nicht einmal Geld gekostet. Niemals, pflegte Hannes zu sagen, sollte man sich zu einer schnöden Bestechung hinreißen lassen. Das sei primitiv. In diesem Staat beispielsweise, so sagte er, als ob er es oft beobachtet hätte, sei das Geld eigentlich gar nicht das Thema. Immer ließen sich Ziele schon durch den bloßen Geruch von Herrschaft erreichen. Die Menschen, in ihrem ständigen Verlangen nach Einfluss, täten alles, um der Macht nahe zu sein. Selbst wenn sie nichts anderes erreichen konnten als eine mickrige Versprechung der Macht, eine winzige Kostprobe, wären sie auf der Stelle bereit, sich zu unterwerfen. Wie die Hunde, pflegte Hannes zu sagen und lachte dabei. Sie müssten den Pfiff gar nicht hören, um zu wissen, dass man gerufen habe, sagte Hannes. Wieder heulte der Motor auf. Immer noch hechelten die Hunde.
    Ich beobachtete Hannes aus den Augenwinkeln und stellte das Radio an. Wir wechselten

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