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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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verstand ich endlich. Nur darum warst du nutzlos geworden. Die Türen zu ihm standen nur einmal offen, dann schlossen sie sich für immer. Nun standst du vor den Mauern.
    Habe ich recht? Gab es eine Nacht, irgendwann in der Vergangenheit, in der du ihm gehörtest? Eine Nacht, in der du glaubtest, dass auch er dir gehörte? Eine Nacht, die danach verpuffte wie ein unscharfer Traum?
    Ich versuche mir vorzustellen, wie es zwischen euch war. Wo es sich abgespielt haben musste. In seinem Schlafzimmer? Ich würde dich gerne fragen, Anna, doch ich nehme an, dass du mir nichts erzählen würdest. Wahrscheinlich ist es für dich eine dieser Erinnerungen, die man aufbewahrt wie einen Schatz, gut versperrt in einer Kiste. Nur von Zeit zu Zeit öffnet man den Deckel einen Spalt, um das Glitzern im Inneren anzusehen. Mit jedem Mal leert sich die Kiste ein bisschen mehr. Was am Ende zurückbleibt, ist nur noch der Schein.
    In meiner Eifersucht ging mir diese Szene immer wieder durch den Kopf. Und allein die Vorstellung fühlt sich schamlos an. Eine Vergewaltigung deiner Vergangenheit. Lagst du unter ihm? Hat er dich von hinten genommen? Wie hat es sich angefühlt, als er sich zwischen deine Schenkel zwängte? Hast du in jenem Moment begriffen, dass es nur dieses eine Mal geben würde? Warst du überrascht vom Andrang? Wo lagen seine Hände, wo berührtest du ihn? Wie hast du ihn angefasst? Mit Nachdruck, stürmisch, zitternd? Zutreffendes bitte ankreuzen!
    Hast du dich zuerst geziert? Ich bin versucht mir vorzustellen, dass du am Anfang noch zurückhaltend warst, dass deine Hand ihn berührte wie etwas Verbotenes. Doch ich versuche nur, mich selbst zu schützen. Ich versuche mein Bild von dir vor Hannes zu bewahren. Ich will nicht hinsehen, wie du dich an ihm festkrallst, ich will nicht sehen, wie du den Kopf in den Nacken wirfst. Wenn du den Mund leicht öffnest und die Beine um ihn schlingst, kneife ich beide Augen zu und sehe längst nicht mehr hin.
    Am Morgen danach wachtest du auf, und er war verschwunden. Und bei eurem nächsten Treffen suchtest du in seinen Augen nach einem Funken, der verraten hätte, was in der Nacht zuvor zwischen euch passiert war. Nach der Leidenschaft, nach der Erinnerung daran, was du ihm gegeben hattest. Doch du fandst nichts als Desinteresse in diesem Blick, der über dich nur mehr hinwegsah.

    Hannes setzte mich zu Hause ab, wir verabredeten uns vage für den Abend. Ich trat durch die Tür, blickte starr vor mich hin, setzte mich auf einen Stuhl im Wohnzimmer. Für einige Sekunden saß ich vollkommen still und konzentrierte mich auf die Umgebung. In der Küche sprang der Kühlschrank mit einem Rasseln an. Auf der Straße beschleunigte ein Autobus, jemand schrie etwas. Ich versuchte die Geräusche abzustellen, so gut es ging, und schloss die Augen, um mir die Stille vorzustellen: Schallwellen flogen durch den Raum, ich wischte sie aus der Luft, bis nur noch eine ruhige Dunkelheit übrig blieb. Der Reihe nach löschte ich das Geräusch des Busses aus, ebnete das Brummen des Kühlschranks ein und saß schließlich in einer künstlichen Dämmerung. Die Ruhe währte nur kurz. Schon Sekunden später drängte sich mein eigener Atem wieder ins Bild und hallte donnernd durch die Räume. Ohne mich hätte Stille herrschen können. Ich war ein Mensch zu viel. Nicht nur in diesem Zimmer, auch außerhalb. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer das Gefühl gehabt, unabhängig zu sein. Ich war immer ich gewesen, eingebunden in eine Bande von Freunden. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass ich nicht mehr war als eines der Tiere im Rudel. Hannes blies die Pfeife, wir verprügelten einen Mann. Ein Befehl, eine Ursache. Eine Wirkung. Es war so einfach, dass es weh tat.
    Es wäre schwer gewesen, sich aus dieser Hierarchie zu lösen. Ich dachte an dramatische Naturdokus: an einen einsamen Wolf, von seinem Rudel verstoßen, der hungernd durch die Steppe irrte und schließlich reumütig zurückkehrte. Die Wahrheit war: Außerhalb meines Rudels gab es für mich nichts. Es gab keine Anhaltspunkte, keine Personen, die mir wichtig gewesen wären, es gab nichts, nur das öde Weiß einer eisigen, einsamen Tundra. Ich würde es nicht schaffen, mich zu lösen. Es war mein Leben. Ich hatte Angst vor dem, was außerhalb dieser sicheren Gruppe auf mich wartete. Ich fürchtete die Einsamkeit mehr als die Abhängigkeit. Wir alle fürchteten die Einsamkeit. Auch du, Anna. Hättest du dir ein Leben ohne Hannes überhaupt vorstellen

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