Hundsköpfe - Roman
oft dabei, dann war es nicht so spannend, ganz vorn auf dem Dach über Stinnes Zimmer zu sitzen. In diesem Fall versuchten wir, ihnen durchs Schlüsselloch nachzuspionieren, und im Laufe der nächsten Jahre unternahmen wir auch mehrere Versuche, ihre dämlichen Gespräche auf Kassette aufzunehmen. Bjørn meinte, wir könnten die Bänder an die Kinder im Stadtteil verkaufen oder sie in erpresserischer Absicht benutzen – einige der Worte, die dort drinnen gewechselt wurden, waren ganz einfach so unglaublich, daß es uns die Sprache verschlug. Wenn Stinne nicht zu Hause war, machte ich mich daran, ein Loch in die Wand zwischen unseren Zimmern zu bohren. Und es dauerte nicht lange, bis das Loch fertig war; es begann am Kopfende meines Bettes – abgedeckt von einem Plakat aus der Zeit, als Vater noch täglich in die Rahmenwerkstatt meines Großvaters mütterlicherseits ging – und mündete in dem schmalen Spalt zwischen der Außenmauer und dem Kleiderschrank in Stinnes Zimmer. Um das Loch auf der anderen Seite zu tarnen, hatte ich mir ein Stöckchen mit einem Stück Tapete gebastelt, das in dem Loch verklemmt werden konnte. Es war eine perfekte Stelle für das Mikrophon, das ich als Geburtstagsgeschenk bekommen hatte, und später wurde es ein wunderbares Schlüsselloch in fremde Welten, eine magische Aussicht, die sich mir offenbarte, wenn ich abends in meinem Bett lag und nicht schlafen konnte.
Durch dieses Loch sollte ich zum stummen Zeugen ihrer Wonnen und Tragödien werden. Vater hatte sein Fernrohr, ich ein Guckloch, durch das ich ein Drittel des Bettes meiner Schwester übersehen konnte, aber in der ersten Zeit, 1984, war das Loch ausschließlich für Bandaufnahmen ihrer dämlichen Stimmen gedacht. Ich hatte nicht die Absicht, es mir mit meiner Schwester zu verderben, die noch immer mein bestes Mittel gegen die Hundskopfträume war, und daher erlaubte ich nicht, daß die Kassetten das Haus verließen. Meine hohe Moral in diesem Punkt stieß bei den übrigen Mitgliedern des Klubs der Jäger allerdings nicht auf sonderlich großes Verständnis, alle wollten sie ihr persönliches Exemplar mit nach Hause nehmen, um es dort zu kopieren. »Och Mann«, sagten sie oft, »wieso sollst du sie denn alle behalten?«
Der Klub der Jäger hatte sich in einen Klub der Spanner verwandelt, wenn wir uns schleichend, kichernd und nicht zuletzt aufnehmend vor Stinnes Zimmer versammelten, bis Stinne die Freier auf uns hetzte, die aus ihrem Zimmer kamen, um uns zu verjagen. Peter hieß der, den wir am besten leiden konnten. Wenn er uns fing, wurden wir nur ein bißchen an den Armen gepackt und durchgeschüttelt, aber es gab andere, die sich nicht mit Schütteln begnügten. Jimmy aus dem Birkebladsvænget zum Beispiel – dem ich mit Abstand die meisten rotzigen Bemerkungen an den Kopf geschmissen hatte, wenn er mit dem Rad nach Hause fuhr. Erwischte er einen von uns, drehte er total durch, einmal platzte Bjørn sogar die Lippe auf. Jimmy gehörte eindeutig in die Kategorie der schwachsinnigen Freier, während Peter den schüchternen Freiern zuzurechnen war, denen, die nicht selten wiederauftauchten, nachdem sie bereits heimgegangen waren, um sich dann vor Stinnes Fenster zu stellen.
»Geh jetzt nach Hause, Peter, okay?« sagte Stinne dann, während wir oben vom Dach versuchten, ihm Wasser auf den Kopf zu schütten. Der geknickte Peter, dem das Wasser als Zeichen seiner hoffnungslosen Liebe ins Gesicht tropfte, wurde allmählich zu einem wohlbekannten Anblick in unserem Viertel, und Mutter bemerkte mehrfach, daß es ihn wohl hart erwischt hätte. »Wieso lädst du ihn nicht zum Tee ins Wohnzimmer ein?« fragte sie, aber davon wollte Stinne nichts wissen. »Er ist ganz einfach viel zu kindlich«, entgegnete sie und kicherte.
Auch unser Vater, der immer seltener zu Haus war und den Kopf voller luftiger Träume über Regenbogenkrüge hatte, bemerkte die Anwesenheit der Freier. Ansonsten beschränkte sich seine Teilnahme am Familienleben inzwischen allerdings auf die Informationen, die er abends von Mutter bekam: Stinne hatte den ganzen Tag Besuch von dieser Sippschaft. Asger war wahrscheinlich wieder oben auf dem Dach …
»Es ist schon okay mit einem Freund«, sagte Vater eines Abends, »aber es müssen doch wohl nicht gleich mehrere auf einmal sein.«
Stinnes Ansicht nach war keiner von ihnen ihr Freund, aber das hinderte ihren kleinen Bruder nicht an der Entdeckung, daß sie eine Schwäche für die Freier hatte, die im Klub
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