Hundsköpfe - Roman
geworden. Wie ein magisches Sesam-öffne-dich gestattete es mir, in andere Welten zu sehen, meine Voyeurgene ließen sich schließlich nicht verleugnen.
Aber wußte meine Schwester, daß ich nebenan saß? War sie sich im klaren über meine stille, mitschneidende Anwesenheit?
Damals wußte ich nichts davon , sagt sie und verläßt das Zimmer, weil die Kinder angefangen haben, oben im ersten Stock mit den künstlichen Nasen herumzuwerfen.
Ich hatte so ein Gefühl , fährt sie fort, als sie wieder zurückkommt, und dann?
Tja, macht es einen Unterschied, daß ich mich im Alter von vierzehn Jahren ein bißchen in meine eigene Schwester vergafft hatte?
Ach, hör auf und erzähl weiter. Wenn es denn unbedingt dazugehört, mußt du ja die Qualen nicht noch künstlich verlängern. Erzähl einfach, was dann passiert ist!
Es ist aber notwendig, daß ich alles erwähne. Erhitzt von der magischen Welt, die ich durch ein Loch in der Wand entdeckt hatte, gestand ich meiner rothaarigen Kusine eines Tages, daß ich sie gut leiden mochte. Sie arbeitete nachmittags in Onkel Harrys Laden. Zu diesem Zeitpunkt war niemand sonst im Geschäft, und daher sah auch niemand, wie sie sich über den Tresen beugte – wollte sie mir etwas ins Ohr flüstern? Sollte ich meinen ersten Kuß bekommen? – und ihren Vetter so lange auslachte, daß ich schließlich behauptete, es sei ein Witz gewesen. Ich hätte nur mal sehen wollen, wie sie reagiere.
Aber meine Schwester hat recht. Ich verlängere nur die Qualen, um zu verbergen, daß ich leider an einen Punkt der Geschichte gekommen bin, an dem ich die Kontrolle über die zahlreichen Kassetten verlor, die ich aufgenommen hatte. Als Kompensation für die mangelnde Schambehaarung und die niederschmetternden Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht ließ ich mich von der Aussicht auf einen billig erkauften Erfolg verleiten. Einzelne Bänder gerieten an die Öffentlichkeit, wurden kopiert und in einem verwickelten Netz von Gegen- und Freundschaftsdiensten verbreitet, bis die süßen Laute meiner Schwester nach Einbruch der Dunkelheit in unzähligen Jungenzimmern erklangen. Bjørn war der erste, der in seiner Jackentasche ein Band mit nach Hause nahm und somit die Ernte des wachsenden Druckes durch den Klub der Jäger einfuhr.
Auch Jimmys Stimme wurde wiedererkannt. Er tat allerdings so, als wäre er stolz auf seine unvorhergesehene Berühmtheit. Wenn jemand Zweifel hatte, wollte er denjenigen gern persönlich darauf aufmerksam machen, daß auf den Bändern seine Stimme zu hören war. Auch er erzählte meiner Schwester nicht, daß die Tonspuren ihrer nächtlichen Stelldicheins mit rasanter Geschwindigkeit unter den Jungen des Stadtteils zirkulierten. Nein, niemand erzählte meiner Schwester etwas, auch ich nicht; und als mir bewußt wurde, welche Kräfte ich in Schwung versetzt hatte, war es bereits zu spät. Die Kassetten, die ich wieder einzutreiben versuchte, waren an andere verliehen, und wenn es mir endlich gelang, an ein Original zu kommen, hatte es sich bereits in zahllose Exemplare vervielfältigt.
Zunächst hatte dieser Zustand nur Einfluß auf meine empfindlichen Nerven. Noch immer konnte Stinne die meisten Jungen lediglich durch schlichte Gesichtsmimik zum Verstummen bringen, aber was im verborgenen aufgenommen worden war, kehrte nun ins Verborgene zurück.
»Wieso darf ich nicht, wenn es die anderen dürfen?«
»Hör auf, so zimperlich zu sein.«
»Ich werde dir deine Hose schon nicht ganz ausziehen, haha.«
Allmählich änderte sich der Ton der Gespräche, die ich nachts aufnahm. Als ich zum ersten Mal eine Unterhaltung der großen Jungen hörte, die sich köstlich dabei amüsierten, meine Schwester als Nutte und Samenbank zu bezeichnen, brach ein neues Zeitalter an: das Zeitalter des kalten Schweißes. Was hatte ich bloß getan?
Der Schweiß durchweichte meinen Bettbezug, bildete große Flecken unter den Armen und hüllte mich schließlich in einen derartigen Gestank, daß meine Schwester mir eines Tages ein Deodorant schenkte, das ich breitlächelnd wie ein Verräter entgegennahm. Sie half mir auch mit praktischen Hinweisen, unter anderem, daß ich jeden Tag das T-Shirt wechseln und ein Bad nehmen sollte; und als der kalte Schweiß eine Zeitlang meine Haut bearbeitet hatte, die darauf mit der Produktion von Pickeln reagierte, kam sie mit Aknecreme und Ermahnungen, die Pickel nicht aufzukratzen. Das also hatte ich mir so lange erhofft, und doch gab es in meiner verspäteten
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