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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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der Jäger unter der Bezeichnung die Schwachsinnigen liefen. Ja, Stinne, die vor der Pubertät geplant hatte, Anwältin zu werden und, sobald sie groß genug war, mit Vater zusammen Geschäfte zu machen, war so enttäuscht über sein mangelndes Einfühlungsvermögen, daß sie nun keine Lust mehr hatte, Anwältin zu werden; gleichzeitig verfiel sie den Burschen, von denen sie wußte, daß Vater sie nicht leiden konnte. So jedenfalls Mutters Interpretation. Ich bekam mit, wie die Eltern nachts darüber stritten, mit anderen Worten, ich hörte allmählich auf, jedesmal Stinne zu wecken, wenn ich ihre erregten Stimmen hörte.
    Ein einziges Mal jedoch wurde Vater wirklich wachgerüttelt. Einmal vergaß er sämtliche Regenbogenkrüge und die Briefe des Finanzamts, die nun doch begannen, seine Nachtruhe zu stören.
    »Sie haben Asger. Sie haben ihn gefesselt! Sie haben ein Feuer angezündet!« schrien die Mitglieder des Jägerklubs, als er eines Abends in die Einfahrt fuhr. Es ging um eine Gruppe von Freiern aus der Kategorie der Schwachsinnigen, die es leid waren, daß auf offener Straße von einem schnoddrigen kleinen Bruder aus ihren Briefen zitiert wurde: Ich finde dich hübsch, haha … Ich mag dein Haar so gern, hoho … Er sprang aus dem Auto und rannte hinunter zum Moor; plötzlich spürte er, wie seine Ohren im Wind vibrierten, und vor seinen Augen tauchten die Bilder einer täglichen Ohrenbehandlung auf, die er an seinem Sohn nicht erleben wollte. Damals hatte ich allerdings längst entdeckt, daß es Dinge gab, die man nicht mit seinen Eltern teilen konnte, deshalb versuchte ich das Ganze zu bagatellisieren, als Vater angerannt kam, auf das Feuer eintrampelte, das von Jimmy vor meinen Füßen angezündet worden war, und dann das Seil löste, mit dem die schwachsinnigen Freier mich an einen Baum gebunden hatten.
    »Das war doch nur Spaß«, log ich und war in erster Linie beunruhigt über sein plötzliches Erscheinen, so etwas hatte ich nicht mehr erlebt, seit er vor meinem Landesverweis zu mir sagte: »Es ist sehr viel besser, selbst durch die Dunkelheit zu gehen.«
    Jetzt sagte er statt dessen: »Tritt sie in die Eier, wenn es noch mal passiert.«
    Ich war zu diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt und hatte noch immer nicht die geringste Spur eines Haares am Schwanz. Einige der anderen Jungen vom Klub der Jäger waren bereits einen ganzen Kopf größer als ich, doch zumindest schlief ich nun nur noch selten im Bett meiner Schwester. Nicht, weil meine Hundskopfträume verschwunden waren, sondern weil jetzt auch nächtliche Freier auftauchten. Klopf, klopf, hörte ich es nach dem Zubettgehen an ihrem Fenster, und wenn ich das alte Plakat zur Seite schob, auf dem die Mona Lisa mit Bart zu sehen war, konnte ich zwei Gestalten erkennen, die miteinander tuschelten. Und was ehemals unschuldige Neck- und Kußspielchen gewesen waren, entwickelte sich bald zu Szenen, die mein Herz heftig klopfen ließen. Die Stimme meiner Schwester veränderte sich, kaum daß ich sie noch erkennen konnte. Statt des gewohnten Kicherns kam nun diese erwachsene Einsilbigkeit, die auf den unzähligen Bändern, die ich aufnahm, verewigt wurde. Ich sah sie wie ein paar hungrige Hundewelpen im Bett herumwühlen. Ich sah, wie meine Schwester eine Hose aufknöpfte und ihn genauso berührte wie ich abends meinen eigenen. Ich sah Zungen, die sich in Ohren schlängelten, und ich sah Hände, die unter die Kleider krochen, bis die heisere Stimme meiner Schwester den heimlichen Film meiner späten Kindheit stoppte.
    »Nein, die Hose darfst du mir nicht ganz ausziehen«, hörte ich ihre veränderte Stimme.
    Aber laß mich ehrlich sein, es waren keine Horden. Es war fast immer Jimmy, und wenn sie sich bisweilen mal nicht mit Jimmy vertrug, war es ganz selten ein Bursche namens Kim.
    Als Jimmy Stinne nicht die Hose ausziehen durfte, wurde ich Zeuge eines anderen Anblicks. Von etwas, das mich schwindlig werden ließ. Was war ich eigentlich für ein Mensch, wenn ich so an ein Loch in der Wand geklebt dasaß, schlaflose Nächte und ein reduziertes Konzentrationsvermögen in der Schule in Kauf nahm, nur um zu sehen, wie Jimmys weißer Samen an den Arm meiner Schwester spritzte? Als ich diesen beunruhigenden Vorgang zum ersten Mal beobachtete, wurde mir bewußt, daß ich möglicherweise erneut vom rechten Weg abgekommen war. Ich mußte wirklich versuchen, mich zusammenzunehmen, umgekehrt war das Loch in der Wand tatsächlich zu einer überzeugenden Möglichkeit

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