Hundsköpfe - Roman
seinem Arbeitskollegen Ingolf Fischer geliehen hatte; er fing an, im Wohnzimmer zu tanzen. »Was ist denn das für ein Spektakel?« fragte Mutter Randi entrüstet, ihr fehlten schlicht die Worte, ganz im Gegensatz zu Vater Niels. »Mein Sohn hört Negermusik!« polterte er, worauf Askild erwiderte, daß man im »Dritten Reich« Negermusik verboten hätte, und im Wohnzimmer weitertanzte.
Eines Tages kam Askild mit einer Staffelei nach Hause und verkündete, daß er nun auch Künstler sein wollte, was Vater Niels zu der Äußerung veranlaßte: »Mein Sohn ist verrückt.« Askild hingegen zog geheimnisvoll eine zerknitterte Reproduktion von Picassos Portrait von Ambroise Vollard aus der Tasche. »Seht her«, sagte er und breitete das Bild wie eine geheime Schatzkarte über den Küchentisch aus, »erkennt ihr, wer das sein soll?«
»Probst Ingemann«, schlug Appelkopp vor.
»Nix da«, sagte Askild und gab ihm eine kleine Kopfnuß.
»Quisling«, lautete Mutter Randis Vorschlag, die sich nicht entsinnen konnte, jemals ein scheußlicheres Gemälde gesehen zu haben.
»Nein.«
»Öh …«, sagte Bjørk und warf einen schnellen Blick auf den Titel in der unteren Ecke, »ist es vielleicht Herr Vollard?«
»Ja und nein«, erwiderte Askild und küßte sie auf die Wange, »laßt mich meine Frage anders stellen. Wen zeigt das Bild noch, außer Ambroise Vollard?« Da niemand einen Vorschlag zu haben schien, fuhr er fort: »Das bin ich, seht ihr das denn nicht?« Niemand sah es. Bjørk hingegen schoß plötzlich ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. Sah diese Reproduktion nicht aus wie ihr Bild von Askild, das sie nicht zusammenzufügen vermochte, und verhielt es sich vielleicht tatsächlich so, daß es gar nichts Zusammenhängendes gab, nur eine unendliche Ansammlung von Bruchstücken und scharfen Kanten, an denen man sich schneiden konnte? Doch dann verdrängte sie diesen unbehaglichen Gedanken und sagte: »Quatsch, Askild, du bist weder so alt noch so häßlich.«
Ein gequälter Ausdruck glitt über Askilds Gesicht, und er sagte nur einen Satz: »Was seid ihr doch für Bauern!«
Nachdem die Familie Bekanntschaft mit Picassos kubistischer Periode gemacht hatte, wurde dem melancholischen Duft nach Alkohol und Eau de Toilette, der Askild umgab, eine herbe Note hinzugefügt: der Geruch von Terpentin, das Askild in kleine Metallschälchen goß, wenn er nach der Arbeitszeit oder am Sonntag eine Leinwand aufzog und anfing, den Pinsel zu schwingen. Häufig runzelte er die Stirn und fluchte lauthals, denn er war kein Naturtalent. Anfangs nahm es Bjørk nicht einmal wahr, wenn Askild abends mit seiner Leinwand, seinem Pinsel und dem Geruch nach Terpentin im Wohnzimmer blieb und sie allein zu Bett ging. Wenn sie allerdings am frühen Morgen, eingehüllt in eine Wolke aus Alkohol, Eau de Toilette und Terpentin, seine Hemden bügelte, stellte sie im stillen fest, wie sehr sich dieser Geruch doch von dem samtweichen Duft unterschied, den sie von Thor, dem Arzt, kannte. Es war etwas Unversöhnliches an diesem Geruch, etwas, das sich trotzig weigerte, ihre Liebe anzunehmen. Und wenn sie ihn morgens, kurz bevor er zur Werft ging, mit einem Kuß verabschiedete, kam es schon vor, daß ihr durch den Kopf ging: Was passiert bloß mit unserer sprachlosen Dunkelheit, was passiert da nur , doch sobald er mit seinem Stock auf der Straße verschwunden war, schwanden ihre Zweifel.
Eines Nachts erwachte Bjørk schweißnaß in ihrem Bett, sie hatte geträumt, daß eine Sonnenblume aus ihrem Bauchnabel zu wachsen begann. Am nächsten Morgen hatte sie Bauchschmerzen, und als Askild zur Werft gegangen war, rief Randi bei Dr. Heinz an, der sein verchromtes Stethoskop auf Bjørks großen, runden Bauch setzte.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er besänftigend und nickte Randi augenzwinkernd zu, »trinken Sie etwas Wasser und schlafen Sie soviel wie überhaupt möglich, es sind noch immer drei Wochen bis zum Termin.«
Bjørk nickte, denn der Anblick der braunen Ledertasche eines Arztes hatte für sie immer etwas Beruhigendes gehabt. Dennoch nahmen die Schmerzen zu, und kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn, sie mußte sich aufs Sofa legen. Und als kurz darauf ein Spatz durch das offene Fenster flog und verstört im Wohnzimmer herumflatterte, bevor er schließlich gegen die Fensterscheibe prallte und aufs Sofa fiel, konnte sie darin nichts anderes sehen als ein Zeichen. »Ich werde jetzt mein Kind bekommen«, schrie sie, »ich werde jetzt mein Kind
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