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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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erzählt. Damals besuchte ich ihn, wann immer es möglich war, um mit ihm Kaffee zu trinken und mir bei dieser Gelegenheit Kunstbücher zu leihen. Oder wie Großvater natürlich sagen würde, nur, um seine Bücher auszuleihen.
    Vielleicht hatte er recht. Ich wäre bestimmt nicht so oft gekommen, wenn er keine Kunstbücher gehabt hätte, sie waren ausgesprochen verlockend für mich. Denn mit diesen Besuchen verband sich auch etwas Schmerzhaftes. So mochte ich mir die alten Photos meines Vater nicht ansehen, die an der Wand hingen, und auch die Anwesenheit der blinden und tauben Greisin im alten Zimmer der Tante war mir unbehaglich. Sie saß da mit ihren Kleinodien einer untergegangenen Zeit, dem schwarzen Buch mit allen Lausbubenstreichen Großvaters, an der Wand die Familienportraits. Doch es war wohl weniger Randis naturwidrige Anwesenheit – sie war damals über hundert Jahre alt –, sondern eher die fehlende Anwesenheit der Tante und das Gefühl des schlechten Gewissens, das ihre Abwesenheit in mir auslöste. Das Schlimmste jedoch war die Ungewißheit. Wußten sie, daß ich Anne Katrine umgebracht hatte?
    Ich erzähle Stinne von den Besuchen, aber sie scheint kein besonderes Interesse daran zu haben.
    »Erzähl mir lieber etwas von Amsterdam«, sagt sie und lächelt. »Ich höre doch sonst nie von dir.« Sie sieht mich auffordernd an, aber ich habe keine Lust, von Amsterdam zu erzählen. Statt dessen stehe ich auf, gehe rüber und nehme das Bild von der Wand. Ich sehe es Stinne an, daß sie nun einen längeren Vortrag über Kubismus erwartet, aber diese Art von Vorträgen halte ich schon lange nicht mehr. Außerdem glaube ich inzwischen, daß es weniger der Kubismus war, der Großvater überkam, sondern Großvater war es, der entdeckte, daß er den Kubismus in sich hatte. Vielleicht war er schon immer dort. Vielleicht löste ihn der Aufenthalt in Deutschland aus. Askild malte fast sein ganzes Leben lang die gleichen Motive: zerrissene Menschen und auseinanderbrechende Formen, bis 1995 Magenkrebs bei ihm diagnostiziert wurde und er all seine Bilder verbrannte. Danach änderte er seinen Stil und verlegte sich auf die Landschaftsmalerei; endlich passierte mal etwas, nachdem es so aussah, als hätte er fünfzig Jahre lang immer wieder dasselbe Motiv auf seine Leinwände gebracht. Auch die Ehe mit Großmutter war in dieser langen Periode kein sonderlich großer Erfolg. Nur in ihrem ersten Jahr, als sie bei Randi und Niels wohnten, waren sie sich wirklich nahe gewesen, so Bjørk. Als Randi nach der Hochzeit die Betten im Schlafzimmer zusammenrückte und sagte: »Nun braucht ihr nur noch anzufangen«, waren sie sich auf eine eher wortlose Art nahegekommen.
    »Nahegekommen?« fragt Stinne und lächelt nachsichtig. »Sind Großvater und Großmutter sich jemals nahe gekommen?«
    Ich glaube schon …
    »Hör mal«, fährt sie fort, »all die Male, die Großmutter bei dir am Bett saß und Geschichten erzählte … Du willst mir doch nicht weismachen, daß sie dir von ihrem Sexualleben erzählt hat?«
    In Stunden des Zweifels wunderte sich Bjørk schon darüber, wo der stille Verführer, von dem sie in ihren jungen Tagen in der Patriziervilla am Kalfarvei geträumt hatte, geblieben war. Askild machte keinen sonderlich erfahrenen Eindruck. »Er benahm sich wie ein Junge, der zum Examen muß«, sagte sie ein paar Wochen später zu ihrer großen Schwester und erinnerte sich an sein erschrockenes Gesicht, als sie ihn das erste Mal nachts weckte. »Wollten wir nicht warten?« fragte er, »du hast doch gesagt …« Aber ehrlich gesagt fand Bjørk, daß sie lange genug gewartet hatte. Vorsichtig legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und flüsterte: »Zeig mir, wie man es macht«, worauf Askild zögernd über sie kroch und seine zukünftige Ehefrau bestieg, wie man einen besonders bedrohlichen Berg besteigt. Mit einem verbissenen Ausdruck im Gesicht fing er an zu rackern, bis sich ein bestimmtes Schmerzgefühl in ihrem Unterleib ausbreitete und der alte Verdacht, daß sie ihn langweilte, ihr den Mut nahm. Als er endlich kam, fühlte sie sich enttäuscht und erinnerte sich, wie sie einmal ihre Mutter gefragt hatte, woher die kleinen Kinder kommen. Ellen hatte geantwortet, daß Kinder von selbst kämen, wenn die Frau einen Kompromiß mit ihrer Würde einging und ihre Pflicht erfüllte.
    Die darauffolgenden acht Nächte blieb sie Askilds Bett fern, doch in der neunten Nacht schlich sie sich wieder hinüber. »Zeig mir noch

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