Hundsköpfe - Roman
Siebenjährige das magische Wort »Papa« aussprach, betrachtete Askild dies trotz allem als sein persönliches Verdienst, obwohl er zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben hatte, seiner Tochter noch irgend etwas beibringen zu wollen.
Während Bjørks Liebe zu dem Mädchen unter der Existenz des kalten Windes in ihrem Herzen litt, und während Askild mit allen Mitteln zu beweisen versuchte, daß seiner Tochter nichts fehlte, blühte Segelohrs Liebe zu seiner Schwester zum ersten Mal auf. Er fing an, mit ihr stumme Spiele zu spielen, und nahm sie zwischendurch mit auf die Straße. Hier konstatierte Segelohr zufrieden, wie sich die ehemaligen Quälgeister auf die entgegengesetzte Straßenseite stahlen, wenn sie herunterkamen. Zwischendurch wagte er es, ihnen etwas hinterherzuschreien, aber auf Dauer war das eine etwas einsame Beschäftigung. Wirklich triumphieren konnte er erst, als die ehemaligen Quälgeister nach und nach aufhörten, auf die gegenüberliegende Straßenseite zu wechseln, und statt dessen auf ihn zukamen, um eine gekochte Krebsschere in zwei Stücke zu brechen und ihm die eine Hälfte anzubieten.
»Willst du morgen mitkommen, Krebse fischen?« wurde er eines Tages von einem dünnen Jungen namens Thorbjørn gefragt, und so kam es, daß Segelohr in eine der großen Leidenschaften der Jungen eingeweiht wurde: entlang der Hafenkais mit zerbrochenen Muscheln, die an ein Stück Segelschnur gebunden wurden, Krebse zu angeln. Und obwohl die See nicht gerade vor Krebsen kochte, wie Raffzahn es ihm versprochen hatte, gab es doch eine ansehnliche Menge gigantischer Krebse, die sich in Felsspalten und unter den Tangpflanzen längs der Bergener Kais verbargen. Während die zerbrochenen Muscheln in der Tiefe ihre Arbeit taten, sammelten die Jungen Zigarettenkippen, quetschten die letzten Reste des sauren Tabaks heraus und rollten sie in Zeitungspapier, um sie schließlich anzustecken und sich schmutzige Witze zu erzählen. Später gingen sie hinunter zum Fischmarkt, wo sie ihre Krebse bei Fischhändler Svein ablieferten, der jeden lebendigen Krebs gegen eine gekochte Schere tauschte. Meist wurden die Krebsscheren gleich an Ort und Stelle gegessen, doch trotz seiner Begeisterung für das großartige Krebsabenteuer sah Segelohr mit einer gewissen Skepsis, wie sich seine fünf gigantischen Krebse in fünf schäbige Scheren verwandelten. »Äh«, murmelte er auf dem Heimweg, den Mund voller Krebsfleisch, »wieso soll eigentlich der fette Kerl an uns verdienen?« Aber keiner der anderen Jungen sah etwas Ungerechtes in dem uralten Tauschgeschäft.
Es war der Abend nach Segelohrs vorsichtiger Beschwerde über Fischhändler Svein, als Bjørk ein kleines Wunder erlebte. Sie saß auf dem Sofa, war wieder schwanger und hatte allmählich genug von der dominanten Randi, die sie behandelte wie eine Behinderte und sie zwang, einen grünlichen Vitamintrunk zu sich zu nehmen, der abscheulich stank, als sie einen müden Blick auf ihren Sohn warf, der mit seiner Schwester im Laufställchen hockte. Einen kurzen Moment verweilten ihre Augen bei seinen Ohren, und in ihrem schwangeren Leib ließ sich ein kleiner Ruck registrieren, bevor sie auf die Beine kam und sich staunend ihrem Sohn näherte.
»Laß das«, entfuhr es dem kleinen Niels, als sie anfing, in seinen Ohren zu pulen, »das kitzelt.«
Doch Bjørk konnte nun nichts mehr zurückhalten. Sie nahm beide Ohren fest in ihre Hände, untersuchte sie genau und scheuchte ihn unter eine Lampe, wo sie die Untersuchung fortsetzte, bis sie zu der mirakulösen Erkenntnis kam, daß seine Ohren ganz einfach vollkommen sauber waren.
»Askild!« rief sie und lief auf die Hintertreppe. »Askild! Seine Ohren, ich weiß nicht, was passiert ist!«
Askild kam herein, und es kann nicht ausgeschlossen werden, daß er die Geschichte mit den Dreckohren total verdrängt hatte, denn er warf lediglich einen raschen Blick auf die Ohren seines Sohnes und sagte mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme: »Na ja, sie sind doch noch dran«, dann verschwand er wieder auf der Hintertreppe.
Pontoppidans fürchterliches Korsett wurde nun auf dem Boden eines Schrankes verstaut, unten in der Tiefe des Vergessens, und nur in den kurzen Stunden der Familienfeste wurde viele Jahre später noch einmal darüber gesprochen – und wie immer bekam Bjørk die Schuld: »Du und deine Arztromane«, höhnte Askild, »du fällst doch vor jedem Mann mit einem Stethoskop auf den Arsch!«
4
Appelkopp brennt durch
A
Weitere Kostenlose Bücher