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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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ppelkopp war noch keine siebzehn, als er zur See ging. Schon ein halbes Jahr vorher konnte man gewisse Veränderungen an dem Jungen feststellen, der noch immer die ehemaligen Quälgeister seines Vetters jagte – mehr zum Vergnügen, und selbst dann noch, als sie schon längst aufgehört hatten, Segelohr zu verfolgen. Häufig mußte Segelohr sogar einschreiten und seinen unbändigen Vetter zur Vernunft bringen, wenn er die entsetzten Mitglieder der Krebsbande auf seinem Fahrrad verfolgte und die gefürchteten Worte ausstieß: »Willste frech werden? Willste provozieren?« Doch von einem Tag auf den anderen hörte er plötzlich damit auf. Gedankenverloren fuhr er an ihnen vorbei, pfiff in den blauen Himmel, und einmal fuhr er direkt in das Auto des Milchmanns, das still an der Straße stand. Auch zu Hause gab sein Verhalten Anlaß zur Sorge. Der ehemals so großmäulige Bursche war nahezu verstummt, und die Familie erwischte ihn mehrfach, wie er ganz ruhig dasaß und Worte auf ein Stück Papier schrieb. Randi zwang ihn, Lebertran zu essen, sie kochte grauenvolle Vitamintränke, die sie ihn zu trinken zwang, doch nichts half. Appelkopp blieb blaß, gab sich immer öfter seiner neuen Gewohnheit hin und schrieb; und wenn niemand dabei war, bemalte er die Rückseite des Papiers mit primitiven Herzen und fuhr mit dem Fahrrad den ganzen Weg zum Langenwald. Dort ging er zu einer ganz bestimmten Kiefer, deren Stamm von einem großen Riß gespalten war, und legte den Brief hinein. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß niemand in der Nähe war, schlich Appelkopp in das angrenzende Gebüsch, zündete sich eine der Zigaretten an, die er seinem Onkel geklaut hatte, und blieb dort mit klopfendem Herzen sitzen, bis ein rothaariges Geschöpf zwischen den Kiefern erschien. Aus der Entfernung beobachtete er, wie Ida Bjørkvig, die Tochter des prominentesten und lautesten Anhängers der Abstinenzbewegung in der Stadt – der nur ein Jahr später in Zusammenarbeit mit Probst Ingemann dafür sorgte, daß der Treffpunkt geschlossen wurde, und der danach auch den Fröhlichen Zirkuswagen und die Abendstube an die Kette legen ließ –, zielbewußt auf die gespaltene Kiefer zuging und den Brief mit einem betont gleichgültigen Gesichtsausdruck herauszog. Hastig faltete sie den Brief auseinander, und ein unwiderstehliches Lächeln glitt über ihre Lippen, nachdem sie ihn gelesen hatte, dann verschwand sie wieder zwischen den Bäumen des Waldes.
    In Wahrheit war es dieses Lächeln, das Appelkopp nicht aufgeben ließ, denn wenn er versuchte, mit ihr zu reden, spielte eine andere Melodie. »Bleib mir vom Leib, du Esel!« rief sie, wenn er sie auf seinem Fahrrad verfolgte. »Ich habe häßliche Sachen über dich gehört, weißt du das?« sagte sie, wenn er hundsäugig versuchte, sie von der Schule nach Hause zu begleiten. Jedesmal allerdings, wenn er von seinem Fahrrad das heimliche Codewort Der Postbote kommt rief, erschien sie zuverlässig im Langenwald, um seine hoffnungslosen Liebeserklärungen zu lesen, getrieben von der Neugierde und etwas anderem, das sie kaum in Worte fassen konnte.
    »Herrgott«, sagte sie viele Jahre später, »dem Esel konnte doch niemand widerstehen.«
    Erst als sie sich durch ein halbes Hundert Briefe gearbeitet hatte, verschwand sie nicht zwischen den Waldbäumen, sondern ging statt dessen direkt auf das Gebüsch zu, in dem sich Appelkopp versteckte. »Wieso liegst du da?« sagte sie. »Gib mir auch eine Zigarette.«
    Sie wollte sich nicht setzen. Sie rauchte die ganze Zigarette in sieben langen Zügen und sagte, daß er sie gern am nächsten Tag von der Schule nach Hause begleiten dürfe. Als sie verschwunden war, hob Appelkopp ihre durchweichte Kippe auf und steckte sie in die Tasche.
    »Ähbäh!« war inzwischen zu hören, wenn Appelkopp, der rasch seine furchteinflößende Aura verloren hatte, geistesabwesend durch die Straßen von Bergen fuhr, »Appel treibt’s mit der Tochter des Abstinenzlers!«
    In derartigen Situationen konnte plötzlich ein Teil seines alten Ichs wieder zum Leben erweckt werden, und wütend verfolgte er dann die feixenden Mitglieder der Krebsbande, allerdings war es für jedermann ersichtlich, daß es nicht mehr mit dem einst so kühlen Überblick geschah.
    »Meine Fresse, ist dein Vetter ein Weichei geworden«, sagte Thorbjørn zu Segelohr. Appelkopp war neulich gesehen worden, wie er drei Schritte hinter der Tochter des Abstinenzlers ihre Schultasche trug, mit einem Augenausdruck,

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