Hundsköpfe - Roman
sicher, natürlich.«
»Gut«, fuhr der Abstinenzler fort und nickte in Richtung Beifahrertür, »raus! Bevor mir wegen dir übel wird.«
Einen Augenblick später stand Appelkopp allein auf der Straße, während Bjørkvig Gas gab und sehr schnell in Richtung Stadt verschwand. Wieder spürte Appelkopp den kalten Schweiß, und auf dem Heimweg beschloß er, mit Askild zu reden. Appelkopp war der einzige in der Familie, der überhaupt je daran dachte, Askild bei irgend etwas um Rat zu fragen, und ein paar Stunden später erreichte er das Wirtshaus, in dem Askild sich nach Feierabend gern aufhielt.
»Da ist ja mein Lieblingsneffe!« rief Askild. »Fängst du an, in Kneipen zu gehen?«
Noch immer von Schweißausbrüchen gequält, stotterte Appelkopp, daß sie miteinander reden müßten, und Askild führte ihn an einen Tisch, der ein wenig abseits stand, bestellte einen Schnaps für seinen Neffen und schien vollkommen in seinem Element zu sein. Er plauderte und scherzte nach rechts und links, rief der Kellnerin Frechheiten zu, und plötzlich wurde Appelkopp klar, daß sein Onkel hier ein ganz anderes Leben lebte.
»Tja«, sagte Askild und guckte ihn ernst an, als Appelkopp ihm sein Dilemma gestanden hatte, »wie ich das sehe, hast du nur zwei Möglichkeiten: heirate das Mädchen oder hau ab.«
Vor allem die letzte Möglichkeit hatte einen positiven Effekt auf den kalten Schweiß. »Abhauen?« wiederholte Appelkopp. »Wohin?«
»Auf See, du Trottel.«
»Ja, aber Ida?« stammelte Appelkopp.
»Das Mädel liegt so, wie sie sich gebettet hat«, entgegnete Askild und bestellte noch einen Schnaps, »und das ist auf keinen Fall deine Schuld.«
Die letzte Bemerkung wurde mit einem einverständigen Lächeln geliefert, das eine Welt von Möglichkeiten eröffnete. Und in Gesellschaft seines Onkels und seiner Zechkumpane, die Räuberpistolen von der Seefahrt erzählten, verloren die verhexten Wälder in dem Jungen allmählich ihren Schrecken, der furchteinflößende Abstinenzler verblaßte und wurde kleiner, ja, sogar das rothaarige Mädchen, das vor nicht allzu langer Zeit ihre verzweifelten Tränen an seiner Brust vergossen hatte, verwandelte sich zu einem Nebel in weiter Ferne, und statt dessen begannen sich Gischt und Sturzseen am Horizont abzuzeichnen, Landgänge in fremden Ländern, muntere Abende in exotischen Hafenstädten und Freudenmädchen, die nur zehn Øre für eine ganze Nacht kosteten und keinerlei Hemmungen hatten. Bevor er sich von seinem Onkel verabschiedete und zu seinem Fahrrad ging, war der kalte Schweiß verschwunden wie Tau in der Sonne, und alles schien so spielend leicht zu sein.
Nicht lange danach wachte Segelohr durch den Lärm von Mutter Randi auf, die jammernd durchs Wohnzimmer lief und mit einem Brief herumwedelte, der in Appelkopps charakteristischer Schrift geschrieben war.
»Heilige Jungfrau!« heulte sie. »Er ist doch noch ein Kind, hast du dem Jungen diese Grillen in den Kopf gesetzt, Niels?«
Niels, der sich angewöhnt hatte, morgens um vier aufzustehen und sich bis halb sechs zum Schlafen in den Schaukelstuhl zu setzen, wachte mit einem Ruck auf und schaute seine enorme Ehefrau erschrocken an. Dann begann der Radau: die Südsee, die Philippinen, das sind doch Wilde und Verrückte da unten, Menschenfresser, der verdammte Kerl …
Es wurde Randi rasch klar, daß Niels an diesem Morgen mit Appelkopp gesprochen hatte, und außer sich vor Wut überschüttete sie ihren senilen Mann mit Schimpfworten, weil er es nicht zu verhindern versucht hatte. In aller Eile wurde Schwester Ingrid von ihrer Schicht im Haukeland-Krankenhaus gerufen, und vor der rasenden Randi und der weinerlichen großen Schwester mußte Askild schließlich einräumen, daß er es war, der Appelkopp geraten hatte, in See zu stechen.
»Was!« brüllten Ingrid und Mutter Randi im Chor. »Das darf doch nicht wahr sein!«
Jetzt ist Schluß! dachte Askild an diesem Morgen auf dem Weg zur Werft, dienern und katzbuckeln soll man, ganz bis auf die Knie runtergehen, immer dieselbe Geschichte … Und während er durch den naßkalten Morgennebel ging, begann ein altes Traumbild vor seinem inneren Blick aufzusteigen: ein Haus am Stadtrand von Bergen, mit Aussicht über das Meer, in Ruhe und Frieden mit der Familie. Es war der gleiche Traum, der ihn als jungen Mann im Zimmer der Witwe Knutsson umgetrieben, und in den er Bjørk nur in vagen Zügen eingeweiht hatte.
Nicht lange danach hatte er sich einen Baugrund ausgesucht, und kurze
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