Hundsköpfe - Roman
Zeit später war es ihm gelungen, sich mit Hilfe von eindringlichen Hinweisen auf seinen guten Job und seinen alten Ruf als großer Freiheitskämpfer ein wenig Geld zu beschaffen. Jeden Sonntag fuhr er nun zu seinem Grundstück, um den harten Bergener Boden mit Dynamit zu bearbeiten. Häufig hallten die Explosionen in der Ferne wider, und die Vorstellung eines betrunkenen Askilds, der mit Dynamitstangen herumfummelte, während ein Reisegrammophon Jazz spielte, beunruhigte die Familie und führte dazu, daß er nun jedesmal herzlich empfangen wurde, wenn er wieder nach Hause kam. Auch Bjørk freute sich darauf, ihre tyrannische Schwiegermutter endlich verlassen zu können, und bisweilen nahm sie die Kinder mit zum Grundstück, wenn sie sehen wollte, wie die Arbeit vorankam.
»Wie lange werden wir da wohnen?« wollte Segelohr eines Tages wissen und nickte in Richtung des in Stücke gesprengten Bauplatzes.
Bjørk schaute ihren Sohn kurz an und sagte: »Für immer.«
Dieses Versprechen vergaß Segelohr nie, und später sollte es zum greifbarsten Beweis werden, daß seine Mutter log. Allerdings gab es noch weitere Umstände, die in diese Richtung wiesen, zum Beispiel: Warum ging sie immer zum Arzt, obwohl ihr nichts fehlte, und warum sagte sie, daß sie einkaufen müsse und kam mehrere Stunden später mit leeren Händen zurück …? Aber ich greife den Ereignissen vor. Am Samstag nachdem sich Appelkopp aus dem Staub gemacht hatte, klopfte es an der Tür auf Skansen, und herein traten ein wütender Arnt Bjørkvig und ein rothaariges Mädchen, das ein bescheidenes Brautkleid trug. Zunächst konnte niemand auch nur ein Wort von dem Gebrüll des Mannes verstehen, und das Mädchen war so in Tränen aufgelöst, daß nicht ein Wort über seine Lippen kam. Erst nach und nach gelang es, Appelkopps Abwesenheit zu erklären. »Ich bringe ihn um!« brüllte der Abstinenzler und packte den verblüfften Vater Niels am Kragen. Der Papagei krakeelte, Randi kreischte, und nur Askilds Entschlossenheit verhinderte, daß sich der Besuch zu einer reinen Farce entwickelte. Er packte Bjørkvig ganz einfach am Arm und beförderte ihn hinaus, indem er ihm mitteilte, daß sich der Bräutigam in der Südsee aufhielt und in den nächsten paar Jahren wohl kaum zu erreichen sei. Und während das rothaarige Mädchen beschloß, nie wieder eine Träne zu vergießen, lag Appelkopp unter seiner Hängematte auf dem Boden eines Schiffes und kotzte. Es war sozusagen die einzige Solidarität, die zu zeigen er in der Lage war, obwohl ihn die verhexten Wälder auch weiterhin in seinen Nächten unter fremden Himmelszelten heimsuchten und ihn noch bis in die dunkelsten Gassen von Manila und Singapur verfolgten.
Und als man im folgenden Jahr die rothaarige Ida, die inzwischen die Schule verlassen hatte, in Bergen mit einem Kinderwagen sah, in dem nicht nur ein, sondern zwei kleine rothaarige Mädchen lagen, ging ihr die Familie Eriksson für gewöhnlich aus dem Weg. Trotz des Klatsches am Fischmarkt leugnete Mutter Randi jegliche Verbindung zu den Zwillingen. Askild sah geradewegs durch sie hindurch, wenn er unterwegs zur Werft beziehungsweise auf dem Heimweg war oder mit Taschen voller Dynamit zum Bauplatz ging, und auch Schwester Ingrid folgte Askilds Beispiel. Nur Bjørk, die selbst zum dritten Mal Mutter geworden war, ging auf das rothaarige Mädchen zu, tätschelte ihr die Hand und hob die rothaarigen Kleinen abwechselnd aus dem Wagen, um sie lautstark zu bewundern.
»Mann!« war von den Jungen des Viertels zu hören. »Ist er wirklich abgehauen? So einfach, ohne weiteres?«
Segelohr nickte.
»Meine Herren, irre!« hieß es, und auf diese Weise gelang es Appelkopp, sein Renommee unter den Jungen der Gegend wiederherzustellen. Man vergaß sehr bald, wie der Blödmann in den Wagen des Milchmanns gefahren war, man vergaß, wie der Bursche hundsäugig die Schultasche dieses rothaarigen Mädchens getragen hatte, und man vergaß die bescheuerten Worte, die man irgendwann einmal in einem gestohlenen Brief gelesen hatte.
Das Krebsmärchen
B ereits als Appelkopp noch gedankenverloren durch die Straßen Bergens radelte, hatte Segelohr sich vorgenommen, daß er sich nicht mehr länger mit einer einzelnen Krebsschere im Tausch gegen einen ganzen Krebs zufriedengeben wollte, doch als er zum ersten Mal bei Svein protestierte, schaute ihn der Fischhändler mit einem kleinen überlegenen Lächeln an: »Na, und was wünscht der Herr statt dessen? Einen ertrunkenen
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