Hundsköpfe - Roman
blauweißen Matrosen verschwunden. Ja, abgesehen davon, daß er etwas über die Dollars des großen Mannes gelernt hatte, lehrte ihn die Geschichte am Kai auch, daß das Sammeln von Münzen kein Tanz auf Rosen war. Und wenn er nicht Krebse fing oder in der weißen Schule gerade stehen oder sich ordentlich vor dem Oberlehrer Kramer verbeugen mußte, besuchte er häufig den Münzhändler Ibsen in der Allikegate.
»Ha! Du Lümmel bist schon wieder da? Woher hast du das ganze Geld?« Hinter Ibsens abweisendem Äußeren verbarg sich ein leidenschaftlicher Sammler, der über einen getreuen Schüler mehr als dankbar war.
»Christian IX .«, grunzte der alterslose Greis, »du weißt nicht, wer Christian IX . ist? Ihr Götter! Was lernt ihr eigentlich in der Schule? König Christian war in meinem Laden! Frag mich wann! 1864, ein Staatsmann mit Manieren, aber auch ein Geizhals! Ein Handel mit ihm dauerte mehrere Tage, aber was weißt du schon davon? Ha! Du glaubst mir nicht?«
Segelohr nickte.
»Ha! Du glaubst wohl, König Christian ist eine Stadt in Rußland und Friedrich Wilhelm von Preußen ein Krebsverkäufer auf dem Fischmarkt! Ha! Hast du denn gar keinen historischen Verstand, du Grünschnabel? Frag, ob Wilhelm von Preußen in meinem Laden gewesen ist, frag, ob auf sechzehn Schillinge einhundertzweiundneunzig Pfennige kommen, und die Antwort ist ja!«
So erfuhr Segelohr vom Lübecker Münzsystem, von Pfennigen, Schillingen, Mark und Talern, von der Münzunion von 1873 und den verschiedene Formen des Betrugs, wie der Beimischung von zuviel Kupfer in Gold- und Silbermünzen. In der Schachtel unter dem Bett bekam Zar Nikolaj nach und nach Gesellschaft von Carlos III . von Spanien, von Friedrich August I . von Sachsen, von Wilhelm von Preußen und diversen, in Silber und Kupfer geprägten dänischen Königen.
Aber auch die Anzahl von Dollars des großen Mannes stieg beachtlich, und natürlich erzählte Segelohr Ibsen niemals, daß er nun stets zur Stelle war, wenn amerikanische Kriegsschiffe am Skoltegrunnskai festmachten – mit einem Topf als Helm auf dem Kopf und einem Topfdeckel als Schild gegen die hagelnden Geldstücke.
»Habt ihr ’n Dollar? Nur einen halben!« schrie Segelohr und fuchtelte wild mit den Armen und Beinen in Richtung der Blauweißen auf Deck.
»Gebt uns ’ne ganze Million!« schrien die anderen Jungen, die, ebenfalls mit Töpfen und Deckeln bewaffnet, auf den segensreichen Münzregen warteten. Häufig kam es zu Tumulten am Skoltegrunnskai, wenn Geld und Kaugummi auf die Jungen prasselten und ihren Korpsgeist unterminierten. Wilde Panik entstand, und hitzige Prügeleien, abgelöst von freudestrahlendem Triumphgeheul, waren an der Tagesordnung, wenn die Jungen sich um die Wurfgeschosse des großen Mannes balgten, denn sogar durchgekaute Klumpen Kaugummi hatten einen gewissen Wert, da man sie mit Zucker vermischt weiterkauen konnte. Die Situation am Skoltegrunnskai wurde nicht besser, als die Rhabarberburschen, Jungen aus einem Stadtteil in der Nähe, Wind von dem besonderen Wurfsport bekamen, mit dem sich blauweiße Matrosen auf amerikanischen Kriegsschiffen die Zeit vertrieben. Und da sie mit sachlichen Argumenten nicht weit kamen, versuchten sie es mit anderen Methoden, wie höhnischen Bemerkungen und Zurufen: »Seht euch mal den mit den Ohren an, meine Fresse! Wieso fliegt der nicht hoch zu denen auf dem Schiff?« Oder, auf den dünnen Thorbjørn gemünzt: »Paß auf, daß du nicht abbrichst, Spinnenbein!«
Es schaukelte sich schon bald hoch zu Spuckereien, Hundescheiße auf Stöckchen gespießt, die man durch die Luft warf, Faustkämpfen, und schließlich wurde noch ein Gegenstand obligatorisch, sobald die Blauweißen in den Hafen einliefen: Keulen, die sie oben im Langenwald aus Kiefernholz schnitzten, und die mit den Initialen ihres Eigentümers und schauerlichen Ungeheuern verziert wurden.
Eigentlich hatten sich die Jungen aus den beiden Vierteln noch nie vertragen, aber nachdem die Blauweißen – ermuntert durch die unterhaltsamen Massenprügeleien, die sich auf dem Kai abspielten – ihren Lieblingssport kultivierten und verfeinerten, wurde es ganz schlimm.
Die Anwesenheit der amerikanischen Kriegsschiffe hatte die traurige Nebenwirkung, daß Bergen kleiner wurde, die Stadt schrumpfte ganz einfach zusammen. In gewissen Stadtteilen konnte man sich allein nicht mehr sicher bewegen. Nördlich bestimmter Straßenecken und westlich spezifischer Häuserkarrees konnte man nie
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