Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
man wußte, daß es im Hirn Funken schlug, wenn die Lippen die elektrische Kugel berührten, und man dabei oft in die Hose pinkelte.
    Und was tat Segelohr? Er beugte sich herab und küßte die Kugel.
    »Ich habe mir in die Hose gepinkelt«, wiederholte er hinterher Kramers Sätze, »ich bin ein kleiner beschissener Pavian.«

Ein Dachziegel auf Abwegen
    S tinne kann sich noch gut an Vaters Geschichten über Oberlehrer Kramer erinnern und schüttelt sich leise bei dem Gedanken daran. Dann seufzt sie und guckt aus dem Fenster. Draußen steht Jesper mit einer Heckenschere und beschneidet die Büsche. An jeder Hand fehlen ihm mehrere Finger, es fällt ihm schwer, die Schere zu halten. Er ist freundlich zu mir, macht aber stets einen etwas scheuen Eindruck. Nie kommt er einfach so ins Gästezimmer, er klopft ordentlich an und bleibt vor der Tür stehen, bis ich aufmache. Ich habe Askilds sämtliche Malsachen dort untergebracht und auch neue gekauft. Obwohl ich in weniger als einem Tag nach Dänemark zurückgekommen bin, dauert es doch lange, bis die Geschichten nach Hause kommen. Sie treffen vereinzelt ein, nachts, paarweise, in Träumen und Erscheinungen, die sich auf der Netzhaut abzeichnen.
    »Hast du Oma heute besucht?« fragt Stinne und schaut Jesper nicht länger zu.
    Ich nicke.
    »Sie ist noch immer so verrückt nach diesen blödsinnigen Konservendosen, oder?« fragt sie nach. »Hast du mitbekommen, was sie glaubt, von wem die kommen?«
    Wieder nicke ich. Großmutter glaubt, die frische Luft aus Bergen stamme von Vater. Über den tatsächlichen Absender spricht sie nicht wie über eine lebende Person, obwohl sie von den Geschichten über ihn immer sehr begeistert war. Ich fand unter den Konservendosen ein paar Briefe von Mutter und einen einzelnen von Onkel Knut, er war allerdings über ein Jahr alt, und Großmutter bekam etwas Düsteres in ihren Blick, als ich ihn hervorzog.
    »Schreibt er noch immer nur Briefe, wenn er Geld braucht?« frage ich Stinne.
    »Knut, am Arsch! Der soll es nur wagen, noch einmal zu schreiben. Dann bekommst er es mit mir zu tun.«
    Knut war bereits ein fester Bestandteil der Familie, als sie in das neue und nahezu fertige Haus im Neubaugebiet einzogen. Noch bevor man sich versah, hatte er Anne Katrine links überholt und angefangen zu laufen. Erst klaute er Vater Niels’ Pfeife und warf sie aus dem Fenster, dann schnappte er sich Randis Häkelzeug und schmiß es hinterher. So entstand seine Angewohnheit, Dinge aus dem Fenster zu werfen, und es dauerte nicht lange, bis kein Gegenstand unter einer gewissen Größe mehr vor ihm sicher war. Nippes und Besteck, Münzen und Zigaretten, sogar Askilds Malertuben mußten hin und wieder von der Straße aufgesammelt werden. Anfangs deutete nichts darauf hin, daß Knut das Problemkind der Familie werden sollte; seine Besessenheit, Dinge aus dem Fenster zu werfen, entwickelte sich allerdings sehr bald schon zu einer Art Hyperaktivität. Gleichzeitig hatte es den Nebeneffekt, daß die fünfjährige Anne Katrine in ihrem Laufstall besonders retardiert aussah. Eigentlich hatte sich die Familie daran gewöhnt, sie als einen etwas zu groß geratenen Säugling zu betrachten, doch inzwischen war das Welpenhafte verschwunden, sie hatte durchscheinende Haut, machte hilflose Bewegungen und sah im Grunde aus wie eine menschliche Pflanze, die an einem Ort ohne Licht lebte. Allmählich kam es auch Bjørk so vor, als hätte sie etwas Unheimliches an sich, eine Kälte in den Augen, die nicht zu trennen war von ihrem eigenen schlechten Gewissen und dem Eissplitter im Herzen, gegen den sie so gut wie möglich mit dicken norwegischen Strickpullovern und wollenen Decken ankämpfte.
    Kurz vor dem Umzug entwickelte Brüderchen Knut eine neue Leidenschaft: weglaufen oder – wie er später gesagt hätte – auf Entdeckungsreise gehen. Segelohr bekam bald eine Reihe neuer Pflichten; er hatte die Sachen vor den Fenstern aufzusammeln, und er mußte seinen kleinen Bruder finden, wenn er auf und davon war. »Knut!« hörte man ihn dann rufen, wenn er durchs Viertel lief. »Wo bist du?« Häufig fand er ihn in den entlegensten Hinterhöfen auf der Jagd nach Katzen, in Mülleimern, in denen er nach Gold grub, oder er erwischte ihn einige Kilometer von daheim entfernt, wenn Knut ausprobieren wollte, wie weit er kommen würde.
    »Was sollten wir nur ohne dich machen?« sagte Bjørk zu Segelohr, wenn er mit seinem verschwundenen kleinen Bruder nach Hause kam.
    Diese Pflichten

Weitere Kostenlose Bücher