Hundstage
hier wegkämen, aus diesem unheimlichen Haus.
Und da geschah es auch schon: Hinter der linken Tür wurde es lebendig. Das konnte nicht die Frau sein, die da rumorte – gequetschte Laute aus beengter Kehle waren zu hören und ein Wälzen sonderbarster Art. Sofort sprang der Schulmeister auf, aber es war schon zu spät, die Tür öffnete sich und heraus trat, nein tastete ein dicker Mann in Trainingsanzug. Die Mädchen schrien auf und bargen sich hinter Sowtschick, der sich selbst gern in Sicherheit gebracht hätte. Der Mann hatte die Augen nach oben gedreht und mümmelte Unverständliches. Es war der irre Sohn des Schulmeisters, den niemand sonst zu sehen kriegte: Hier war er eingesperrt, halb blind und sich beschmutzend, Tag für Tag.
Der Vater wollte den Sohn abdrängen, doch dieser strebte ziemlich entschlossen den Mädchen zu, die erotische Restsubstanzen in seiner Seele aufgerührt haben mochten. Das war eine schlimme Geschichte. Die Gäste mußten mit an sehen, wie die beiden Männer miteinander rangen, und daß das so bald kein Ende nehmen würde, war zu erwarten.
Die drei aus der Welt kommenden Menschen, Sowtschick mit seinen beiden Schutzbefohlenen, suchten das Weite. Bloß raus hier! Und wenn sie erwartet hatten bei ihrem Eintreten, daß sie dieses Haus vor Lachen prustend wieder verlassen würden, so waren sie denn doch jetzt sehr bedrückt. Dies war weder flockig noch fetzig, hier versagte das Lexikon der Jugendszene seinen Dienst.
A m nächsten Tag mußte Sowtschick nach Hamburg fahren. Die Barthold-Hinrich-Brockes-Jury tagte am Abend. Als er beim Rasieren die Strieme betrachtete, die ihm die Kette gerissen hatte, entdeckte Sowtschick einen Eiterpickel am rechten Nasenflügel.
«Dieser Eiterpickel hat keine symbolische Bedeutung», sagte er zu sich und drückte ihn aus. «Er wird nicht eingehen in die Weltliteratur.»
Er zog seine sandfarbene Hose an, dazu ein weißes Hemd und ein Leinenjackett. In die Brusttasche steckte er die Sonnenbrille, und die Pillen vergaß er auch nicht. Der kleine Taschenspiegel in Schlangenleder ließ sich nicht finden, wo der wieder steckte?
Den Mädchen stellte er einen Zettel in die Küche: «Bin nach Hamburg gefahren», und: «Immer alle Türen abschließen! » Dann verabschiedete er sich von den Hunden, die bei dieser Hitze froh waren, daß sie dableiben durften, setzte sich in seinen dunkelblauen Wagen und fuhr über den Kiesweg knirschend hinaus.
«Wie geht’s?» rief er den Schlossern zu, die an seinem Käfig bastelten.
Daß das hier verdammt trockne Luft ist, wollten sie ihm mitteilen, aber da fuhr er bereits die Pappelallee entlang und durch das Dorf, in dem wegen des Brandes eine gewisse Unordnung herrschte. Fremde Autos standen umher, und Schlauchleitungen lagen auf der Straße. Er fuhr einmal um die Brandstelle herum und winkte der Feuerwache zu, zwei Männern, die auf einer Mauer saßen und Zigaretten rauchten.
Sowtschick legte eine Kassette in den Recorder ein – Telemann: «Hamburger Ebb und Fluth» –, die war an diesem Tag dran. Über vier Lautsprecher wurde ihm das sublimierte Naturschauspiel in die Ohren geblasen, besonders das Gurgeln der an-und abschwellenden Flut machte Sowtschick Spaß. Er fuhr fröhlich dahin: Als er an die Mädchen dachte, mußte er laut lachen, so laut wie Gabü geweint hatte.
Auf der Autobahn hatte sich um diese Tageszeit der Berufsverkehr bereits verlaufen. Da fuhren Vertreter und andere vernünftige Menschen stetig dahin, ohne durch plötzliches Beschleunigen oder unvermitteltes Stoppen Sowtschicks dahinperlende Gedankenketten zu stören.
Lediglich die Ausländer mit ihren gelben und schwarzen Nummernschildern fegten auf der Überholspur vorüber, in ihrem Heimatland daran gehindert. Sowtschick hätte sie mit seinen 136 PS beschämen können, aber das tat er nicht. «Ich kann es mir leisten, mit meinem großen Wagen langsam zu fahren», sagte er, und er sah diese Leute aus Aarhus oder aus Lyon schon als Blechklumpen an einem Brückenpfeiler kleben, mit Rädern, die sich noch drehen.
Das Autobahnfahren machte Alexander Sowtschick Spaß, wenn es nicht über zwei Stunden dauerte und flott voranging. Große Laster sanft zu überholen – BRUMMI WILL AUCH LEBEN –, sie nicht zu schnell zu überholen, damit man die Fahrer nicht zum Klassenhaß aufstachelt. Das elegant-flüssige Einordnen danach, das Platzmachen, wenn ein Porsche die Einfahrt hereingeschossen kommt, der dann taktloserweise sofort überholt
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