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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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für den Spott nicht zu sorgen – krümmten sich, weil es so komisch aussah, wie der da unter seiner Maschine lag.

    «Na also, wie wär’s?» sagte der Schulmeister ultimativ.

    Sowtschick wollte schon nachdrücklich auf die Uhr gukken und sagen: «Aber, mein lieber Mann, ich kenne einen, der sich jetzt schlafen legt.» Womöglich mußte er an das Bett der Frau treten und ihr die Hand drücken? Es war schon genug, daß man zu deren Beerdigung würde gehen müssen, eines Tages. Da die Mofa-Jünglinge jedoch zu neuem Ansturm ansetzten, sagte er: «Na gut», obwohl Adelheid ihn angstverzerrt ansah wegen des unholdigen Sohns.

    Der Schulmeister rannte vor, kam zurück und rannte wieder vor, schloß die Tür auf wie ein Gefängniswärter und ließ die drei eintreten: «Wenn ich bitten darf!» Eine Katze huschte hinaus – es roch intensiv nach dicker Luft –, und dann saßen sie in dem düsteren Wohnzimmer und mußten erleben, daß der Schulmeister goldhamsterartig hin und her lief, hier Licht machte und dort, ob’s so besser sei oder so?

    Er schloß die angrenzenden Türen ziemlich sofort und nachdrücklich und lief in die Küche, holte Gläser und eine Flasche von dem bekannten ungenießbaren Sanddornsaft. Sowtschick bedeckte mit der Hand das Glas, aber den Mädchen blieb das Zeug nicht erspart: «Kein Gefasel! Hier wird pariert!»

    Nun turnte der Schulmeister an seinem Bücherbord herum, das die Wand bedeckte, um den Gästen den «Pädagogischen Wegweiser» von 1951 zu zeigen, in dem er als neuer Schulmeister von Sassenholz aufgeführt war, und das Börde-Wanderbuch «Mit Rucksack und Fiedel», das ein Gedicht von ihm enthielt: «Schüttle ab der Wege Staub …» Und sie saßen vor seinem Schreibtisch wie beim Rechtsanwalt.

    Größte Sorge hatte der Schulmeister, daß sie sich mit Fragen oder Einwürfen zwischen seine Ausführungen drängen könnten, denn das wollte er: Das Heft in der Hand behalten. Er turnte also, unentwegt redend, am Bücherbord herum. Dann kroch er unter den Schreibtisch und kramte sein Lebenswerk aus einem Karton: «De Düwel in de Föör». Er schenkte den Mädchen, die sich ängstlich zueinander hielten, ein Exemplar der vor zwanzig Jahren erschienenen Broschüre, schrieb mit einem Kopierstift unauslöschlich seinen Namen hinein und warf sie den Mädchen hin. Dann kramte er Abschriften von Chroniken aus der Schublade und zeigte Fotos von der alten Mühle, von Wilhelm sin Willis Hof und von dem «Fron-Hus». Gleichzeitig ließ er eine Tonbandkassette ablaufen mit seltsam quärrig gesungenen Volksweisen, die er in der Sassenholzer Börde aufgenommen hatte.

    Er überlegte ernstlich, ob er jetzt nicht wegziehe von hier, jetzt, wo dem Dorf das Herz ausgerissen sei. Aber wenn das «Fron-Hus» Jugendzentrum geworden wäre, das wär ja auch nicht gutgegangen. «Das kennt man ja, die pinkeln überallhin …»

    Sowtschick musterte die Einrichtung der Schulmeister-Studierstube: Kissen überall, sogar auf dem Büfett, in dem Kristall aufgestellt war. Ein Tisch, von dem die Fransen einer Häkeldecke herunterhingen, eine schaumgummigepolsterte Couch mit Fettschatten an der Stelle, wo der Schulmeister beim Mittagsschlaf sein Haupt hinlegte. Auf dem Tischchen neben der Couch stand ein Teller mit Käsebroten, und in der Ecke stand der schönste Dreschflegel der Sammlung, mit geschnitztem Griff.

    Die Bilder an der Wand zeigten Hirschberg, die Geburtsstadt des Gastgebers, von vorn und von hinten, meistens aber den Marktplatz, auf dem er als kleiner Junge umhergelaufen war.

    Ob er über seine Heimat schon mal was geschrieben habe, fragte Sowtschick in eine Atempause hinein. Er könne sich denken, Schlesien vor sechzig Jahren, eine traulich-sonnige Kindheit, dann Russen und Polen, Flucht, Vertreibung und so weiter? Das dürfe man doch nicht auf sich beruhen lassen? Da habe man doch eine Verpflichtung?

    Hier sah ihn der Schulmeister zum ersten Mal an, fast verwundert. Das sei ein Kapitel, an das er noch nicht rankönne, sagte er und lenkte ab. «Das war alles nicht so rosig, Kindheit … », und Sowtschick überkam die Ahnung, daß hier etwas Schlimmes saß, ein brutaler Vater vielleicht, und Prügel jeden Tag. Und in der Tat, es kamen ein paar Geschichten heraus, die alles andere als herzerwärmend waren.

    Die Mädchen dachten an ihren Ingenieur-Vater, mit Ferienwohnung in Badgastein, an weiße Kleider, und die Mutter braungebrannt, und wie wundervoll es wäre, wenn sie nun bereits im Bett lägen und

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