Hundstage
denen Hören und Sehen vergeht. Oder so wie damals, Arbeitsdienst! Dann wollte er wissen, ob Sowtschick wieder einmal ein Buch schreibt, und meinte, sie müßten sich mal ihre Sachen gegenseitig vorlesen, seine Schwägerin hinzuziehen, den Lesekreis und vielleicht noch Edmund Ballon vom «Kreuzthaler Tageblatt»? Der sei auch ganz in Ordnung, und dann einen Wörkschopp gründen, ganz regulär.
Er hatte die Hände in den Taschen seiner schwarzen Satinjacke und klimperte mit Schlüsseln. Mit seinen Nußknackerzähnen kaute er auf einem Streichholz, das hielt er wohl für progressiv. Während waghalsige Männer allerhand Maschinen aus dem Gebäude zogen, referierte er, wann und wo in diesem Dorf schon unersetzliches Kulturgut durch Flammen vernichtet worden sei: die Windmühle, und dann 1935 der herrliche Hof von Wilhelms sin Willi. Das wär ein Hof gewesen. «Ich kann Ihnen sagen.» Und dann diese Zigeuner-Sache? Der Zigeunerdiebstahl? Am hellichten Tag? «Sintis» hießen die ja jetzt und wären die ehrlichsten Menschen von der Welt. Den Blick fest auf die Flammen gerichtet, äußerte er in das Krachen der Balken hinein die Frage, ob Bauer Jan wohl all seine Schweine wiedersähe? Bei dem Brand anno ’78 hätten soundso viele Schweine gefehlt. Oh, und dann fiel ihm ein, wie in Weitmoor mal das ganze Vieh verbrannt war, bei lebendigem Leibe. Daß das an den Ketten gerissen hätte und gestampft und gebrüllt. Und dann kam er, sich zeitlich zurücktastend, auf das Kriegsende zu sprechen, der ganze Himmel rot, und dann die Engländer mit ihrem schönen Weißbrot. Daß sie das Dorf schon gehabt hätten, unversehrt, und dann wär SS gekommen und hätt hier noch Krieg gespielt. Er habe sich die Milchgesichter angeguckt: Manch einer hätt noch ins Gras beißen müssen.
Ob sie nicht, das fiel ihm ein, gemeinsam eine Geschichte dieses Dorfes schreiben wollten, als Pendant zu seinem Sagen-Werk, eine Chronik von Sassenholz, ganz regulär? Er schob das Streichholz von einem Mundwinkel in den andern, pochte Sowtschick an die Brust und stellte sich rücklings vor das Feuerpanorama, dem sich der große Kollege eigentlich in Ruhe widmen wollte. Von einem kulturellen Resümee sprach er, das sie ziehen müßten, ehe es zu spät sei, und er redete sich in Hitze.
Rettung kam von Erika. Das Mädchen war auf einen Apfelbaum geklettert, um von dort aus alles zu überblicken. Obwohl das niemandem schadete, wurde dies von dem Schulmeister mit Erbitterung vermerkt. Das sei ein Deutscher Winterapfel, auf dem das Mädchen da sitze, diese gute alte deutsche Sorte, von der es nur noch wenige Exemplare in der Börde gebe.
«Willst du wohl sofort da runterkommen!» rief er und drohte dem Mädchen mit seinem Spazierstock. Das hätte sich früher mal einer wagen sollen, rief er Sowtschick zu, und da ihm das Mädchen die Zunge rausstreckte, machte er Miene, sie vom Baum zu schütteln. Da glitt sie denn doch herunter, schrie: «Opa, Opa!» und zog ab.
«Das ist doch unverschämt!» rief der Schulmeister und schickte sich an, sie zu verfolgen, und alle schienen ihm recht zu geben, und: So was gehört eingesperrt, und zwar ins Erziehungsheim …
Sowtschick griff sich an den Hals. Da hatte die Kette gehangen mit dem Anhänger, den jetzt das Mädchen Erika besaß. Nun, dieser Streich würde sie für eine Zeit fernhalten von ihm: Am besten gar nicht drum kümmern, dann würde sie das Kettchen schon noch bringen.
Inzwischen hatte der Feuerwehrhauptmann das Retten von Maschinen gestoppt. Noch einmal in den Stall hineinzulaufen sei «Sülwsmoor» 1 .
Eine gewisse Ruhe kehrte ein, dem Feuerwerk folgte die Wasserkunst. Sechs «Rohre», wie das fachmännisch genannt wurde, waren springbrunnenartig auf das Wohnhaus gerichtet. Die Feuerwehrleute saßen auf ihren Leitern und hielten den Strahl nach Gutdünken mal auf diese Stelle, mal auf jene, im Rinnstein lief gurgelnd das Wasser ab, mit Häckselstückchen vermischt.
Die Mofa-Jünglinge schmissen unterdessen mit Steinen die noch heilen Fenster der Scheune ein. Nun krachte es, und Funkenschauer stoben aus dem «Fron-Hus» hervor, die Zwischendecke fiel herunter, was Rufe des Erstaunens bei den Zuschauern auslöste. Die Flammen schlugen hoch hinauf in den finsteren Himmel. «Ein Fanal», sagte die Pastorenfrau.
Von der Autobahn kamen Touristen-Autos mit Sack und Pack, durch den Feuerschein angelockt. Für die war das eine willkommene Urlaubssensation: Feuer im Dorf! Wie in alten Zeiten. Wann kriegt
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