Hundstage
waren.
Neelsen und Achilles standen auf der einen Seite, auf der anderen standen Sowtschick und sein Freund von Dornhagen, einander herzlich zugetan. Ein wenig wie Schiller und Goethe vor dem Theater in Weimar standen sie gern da. Von Dornhagen mit Spitzbart und wollüstigem Haarschopf, Sowtschick hinter goldener Brille die Augen eng beieinander. Sie waren gegen Neelsen wegen dessen Kleinbürgerlichkeit und taktlosen Alters und gegen Achilles, weil keiner der beiden Freunde je einen Preis bekommen hatte, in dessen Jury der saß. Was die zu prämierenden Autoren anging, verständigten sich die beiden schon vorher. Still schoben sie ihren Favoriten nach vorn, wobei von Dornhagen die strengeren Maßstäbe anlegte. Sowtschick, der selten die Bücher der Aspiranten las, war eher laxer. Ihm genügte es, wenn sein Freund argumentierte.
Zwischen diesen beiden Fronten saß wie ein Häufchen Unglück Helga Klincke, ein liebes kleines Frauchen, eine unkündbare Rundfunkredakteurin, scheinbar vor sich hin dämmernd. Man hatte sie aus Alibi-Gründen in die Jury geholt und schätzte an ihr das unverzagte Schweigen, wobei es sich jedesmal herausstellte, daß mit ihr trotz allem zu rechnen war. Am entscheidenden Punkt der Debatte sagte sie irgend etwas Wichtiges, etwas, das sie in ihrem Herzen lange hin und her gewandt haben mochte.
Auch Prack gehörte zu der Brockes-Jury, der weltbekannte Groß-Autor, Verfasser von Romanen, die, obwohl sie nur mit höhnischen Verrissen bedacht wurden, um den ganzen Erdball gingen. Prack wurde nur der Form halber eingeladen, der kam nie. «Er hat es nicht mehr nötig», wurde gesagt, «wo ist denn unser lieber Abwesender?» Im Augenblick hielt sich Prack, der gern das linke Entrüstungsmäntelchen trug, in Mittelamerika auf, um dort nach dem Rechten zu sehen, eine Tatsache, die regelmäßig von den Medien bekanntgegeben wurde. Deshalb bedurfte es auch keines Entschuldigungsschreibens, was der nicht stimmberechtigte Senatsbeamte Schubert bedauerte, denn der betrachtete die hingehauenen Schriftzüge des berühmten Autors als an sich gerichtet. Jede Jury-Sitzung bedeutete Zuwachs für seine Autographensammlung: Voten, Notizzettel, bekritzelte Bierbricken, heimlich gemopst.
Die Jury tagte in einem schlecht beleuchteten Konferenzzimmer an einem überlangen Tisch, der für eine Hochzeitsgesellschaft bereits mit weißen Tischdecken versehen war, ungemütlich und unerträglich, wenn nicht dann und wann ein äußerst hübsches Serviermädchen erschienen wäre und sich nach den Wünschen der Runde erkundigt hätte. Neelsen und von Dornhagen bestellten Tee, Schubert Gin Tonic «auf D-3 verdünnt», wie er sagte, Frau Klincke eine Citrone nature und Sowtschick Bier.
Achilles schrie nach Whisky und, weil er Kettenraucher war und einen Aschenbecher vermißte, nach einem «Eschenbacher», was die Servierhilfe irritierte. Dieses Mädchen sei bestimmt keine einfache Kellnerin, das sei eine Volontärin, aus gutem Haus, wurde gesagt. Das merke man gleich, daß die aus gutem Hause sei, die gehe wahrscheinlich eines Tages in die Schweiz. Von der Pieke auf müsse man das Hotelfach lernen, und daß es auf diesem Sektor Arbeit genug gebe, für all die Arbeitslosen. Aber morgens um fünf Uhr aufstehen und nach Mitternacht ins Bett, das sei eben auch nicht jedermanns Sache …
Schubert, der an diesem Tage wegen der Hitze einen hellen Anzug trug – «Na, heute ganz auf Afrika?» –, hatte die in Frage kommenden Bücher auf einen Nebentisch gestapelt, und zwar in drei Haufen, in Voll-und Halbfavoriten und in diejenigen, die seiner Ansicht nach völlig indiskutabel waren: irgendwelche Neosachen oder «verkrampfte Avantgarde von gestern». Niemand in diesem Raum wußte, wie die Auswahl zustande kam, es gab sicher sehr viel Besseres, es gab aber natürlich auch sehr viel Schlechteres als das, was hier nun zu begutachten war. Irgendwo, ganz unten, in der Tiefe, ruhte glühend und unerkannt das Juwel aller Juwele. Und in hundert Jahren würde es heißen: Keiner hat es zur Kenntnis genommen!
Die Sitzung begann damit, daß Schubert auf die drei Stapel wies und einen kurzen Vortrag hielt, in dem die Ausdrücke «lesenswert», «hat Aufsehen erregt» und «das liegt so auf der Linie von…» vorkamen. Nach und nach mischten sich die Autoren ein, sie bezeichneten die Bücher als «abgehangen» (Achilles) oder als «weltliterarisch hochinteressant» (Neelsen). In manchem wurde ein federndes Element gerühmt, in anderen
Weitere Kostenlose Bücher